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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.02 (1871)
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Stüdl, Exkursionen 1868.

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nannten Gletschers erreicht und schritten, durch das Seil
verbunden, in einem grossen Bogen gegen die mächtig sich
anfthürmende Glocknerwand jenem Punkte zu, wo die steile
westliche Firnkante der letzteren zu der Einsattelung des
Glocknerkammes zwischen der genannten Spitze und dem
Romariswandkopf herabzieht. Um 9 Uhr 15 Minuten war
diese Stelle ohne Mühe erreicht, wir genossen eine pracht¬
volle Aussicht über die ganze Pasterze , so wie über die
stolzen Eisgipfel, welche sie umstehen. In weiter Ferne
reihten sich Spitze an Spitze, so dass ich hier schon eine
Ahnung von jener Herrlichkeit vor Augen hatte, die mich
am folgenden Tage vom Gipfel des Grossglockner entzücken
sollte.

So sehr auch mein Herz beim Betrachten dieser schönen
Bilder aufjubelte, so peinlich berührte mich die Enttäusch¬
ung, mit welcher der Blick hinab zum Pasterzen gletscher
mich erfüllte. So jähe Fels- und Eiswände starrten uns
entgegen , dass wir rasch unseren Plan , die Pasterze von
hieraus zu gewinnen, wieder aufgaben. Ein eisig kalter
Nordwind, der den schweren Firnschnee hoch aufwirbelte,
und namentlich auf dem Eiskamme, wo wir standen, sein
wildes Spiel trieb, machte das Verbleiben auf dem letzteren
selbst ausserordentlich unangenehm. Trotz alledem schritten
wir über den Glocknerkamm in nordwestlicher Richtung
fort. Derselbe dürfte hier eine Höhe von circa 10,800' 3414
haben, und is.t zum grössten Theile mit Firn bedeckt.
Nach wenigen Schritten erreichten wir einen kleinen Fels¬
abhang, der zugleich die Grenze der Firn -Region des
Teischnitzgletschers und jener des Frussnitzgletschers bildet.
Der Felsen verliert sich bald unter den bläulich grünen
Gletscherbrüchen, die das höher gelegene Plateau des Teisch¬
nitzgletschers von jenem des Frussnitzgletschers trennen.
Em Firnkamm läuft .zu der theilweise mit Eis bedeckten
Kuppe des Kramul 10,289' 3252 m Keil, die tiefste Ein-
senkung zwischen dem letzteren und dem Glocknerkamme
wollen wir den Kramulsattel nennen, auf den wir später
zurückkommen werden. Wir überschritten den vorerwähnten