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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.10 (1879)
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C. Gsaller, Hohe Villerspitze.

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Thal fast in seiner ganzen Länge. Grün und anmuthig in der Tiefe
gelegen bildet es eine entschiedene Zierde der Aussicht. Was end¬
lich die allernächste Umgebung betrifft, so fällt der Berg gegen
das Zuspitzl ziemlich lothrecht ab, zum Fatscher Thal senken sich
steile Plattenhänge. Einen vorstehenden Buckel derselben anvisirend,
ergaben sich 45° Neigung ; sieht man vom Buckel ab, so fällt der
Winkel schon beträchtlicher aus. Bemerkt sei noch, dass mir
däuchte, es wäre aus dem Fatscher Thal zum Sattel zwischen den
beiden Villerköpfen und somit auch zur Hohen Spitze empor zu
kommen ; es schienen zwar dort Platten, aber nicht von haltloser
Beschaffenheit.

2 U. 55 wurde wieder aufgebrochen auf dem gleichen Weg,
wie gekommen.

Im Sattel zwischen Hoher Villerspitze und Südlichem Viller-
kopf stehend, fiel mir abermals die Schlucht auf, welche sich von
da gegen W. in die Wand hinabsenkt. Trotz grosser Steilheit
(etwa 60°) und sehr zweifelhafter Haltpunkte hätte der Abstieg
doch möglich geschienen. Nur die Unkenntniss des untern Theils
machte davon abstehen. Bald war über den südlichen Villerkopf
weg die kleine Scharte oberhalb der letzten Urfällt wieder erreicht.
Ich blicke hinab und — bleibe wie gelähmt stehen! In furcht¬
barem Ernst zeigte sich nun im Abstieg die Situation. Den ganzen
250 Meter hohen, nahezu senkrechten Wandsturz (von etwa 80°
Neigung) musste ich in seiner schrecklichen Wildheit unmittelbar
vor mir zum Grossen Hornthal abfallend schauen! Ohne das be¬
stimmteste Wiedererkennen meines Anstieges, würde ich darauf
geschworen haben, dass da keiner Gemse Fuss ihren Weg fände!*)

Aber es blieb keine Zeit zu langem Zaudern. Vorwärts drängt
es, wenigstens sobald als möglich den schiefen Gang zu erreichen, der
mir gegenüber diesem Abstieg gar nicht mehr so schlimm vor¬
kam. Niedergesetzt, wurden die Hände eingestemmt und mit den
Eisen versucht, sich festzukrallen ; lange ohne Erfolg, die Hände
beginnen bereits bedenklich zu gleiten ; endlich geht's doch. Wieder
hiess es dann sich um eine Felsenecke arbeiten, aber war's nicht
dieselbe wie beim Aufstieg, oder war ich bereits zu sehr abgestumpft,
die Sache kam mir nicht mehr so böse vor. In ähnlicher Weise
wurde der Weg fortgesetzt; als ich aber auf dem schiefen Gang
angelangt war, athmete ich erleichtert auf. In derselben sitzenden
Stellung wie bisher wurde nun auch der »Gang" passirt. Häufig
war ich ganz hart an den Rand des Absturzes gedrängt , da dort
die besten Haltpunkte sich boten. Steine gingen in Massen unter

*) Was die Möglichkeit des Abstieges über eine derartige Wand betrifft,
so muss man beachten, dass selbe aus weniger geneigten Theilen und
senkrechten Felsenstürzen zusammengesetzt ■ erscheint. Auch liefen die An¬
stiegsrinnen nicht senkrecht hinauf, sondern waren seitlich geneigt.