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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.38 (1907)
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Die Brentagiuppe ? i 2

seligen und wie er es nannte, »langweiligen« Exkursionen mit der großen »Kiste«
nichts mehr wissen wollte, hatte sich gemeinsam mit den Herren R. Gerin und
F. Moc aufgemacht, die Cima Margherita auf neuem Wege über den Ostgrat zu er¬
obern. Nachmittags wollten wir gemeinsam »ohne Apparat« auf die Cima Brenta
alta steigen. Als die Mittagsstunde aber schon nahe vorüber und von den drei Ge¬
fährten im Bereiche der Hütte nichts zu sehen war, machte ich mich allein auf den
Weg. Ich stieg von der Tosa Hütte westlich auf breitem, eben hinziehendem, bequem
gangbarem Bande, das die Bergsteiger wegen seiner leichten Begehbarkeit mit Farben
gekennzeichnet und womit sie einen billigen »Weg« errichtet haben, bis an sein
Ende und wanderte dann die kurzen Kehren des angelegten Pfads ganz hinauf zur
Bocca di Brenta.

Das Massiv der Cima Brenta alta gliedert sich, von Osten gesehen, der Höhe
seines Aufbaus nach in drei Teile. Vorerst haben wir den ersten, fast vertikal aus
dem Schutte aufstrebenden Absatz. Es ist der untere Wandgürtel, über dem eine
breite, geneigte Schutterrasse gelegen ist. Gleich darauf folgt eine zweite, absolut
vertikal aufbauende Stufe, ober welcher abermals eine breite Terrasse das Bergmassiv
durchzieht. Die Terrasse befindet sich genau in halber Bergeshöhe, den Aufbau von
der Bocca aus gerechnet. Oberhalb dieser Terrasse setzt der eigentliche Gipfelkörper
an, der von einer weiten, vom Gipfel südöstlich herabstreichenden Schlucht durch¬
zogen wird; auch in der halben Höhe dieses letzten Aufbaus ist noch deutlich eine
Terrassenbildung wahrnehmbar; diese wäre also die dritte und auch kleinste Ter¬
rassenbildung in dem mächtigen Massiv der Brenta alta. Der Schlüssel der Erstei¬
gung auf der Route von der Bocca aus liegt in dem günstigsten Durchkommen durch
die erwähnten drei Steilwandstufen. Um die erste Stufe zu gewinnen, steigt man am
Schutt bis nahe zur Bocca an, wendet sich dann nach rechts und gewinnt über ganz
leichte Stufen ein etwas über der Schartenhöhe gelegenes Band, welches die Ost¬
flanke der zur Bocca niedersetzenden Rippe ansteigend gegen den tiefen Einriß
durchzieht. Auch von der Bocca selbst ist das Band über eine etwa mannshohe,
etwas schlechtgriffige Stelle zu erreichen. Diesen Weg schlug ich ein, betrat gleich
darauf das Band und verfolgte es, bis es in eine rinnenartig einschneidende Schlucht
führt. In der Schlucht klomm ich hinan, wandte mich dann dem rechten von den
zwei steil emporziehenden Kaminen zu und kletterte in demselben hinan, bis ich nach
rechts auf ein schmales, plattiges Gesimse aussteigen konnte. Um eine Ecke herum
gewann ich einen vorspringenden Erker in der rechtsseitigen Begrenzungswand der
früher erwähnten Schlucht, von wo ich wieder die Hütte erblickte. Um die an dieser
Stelle ziemlich tief heranreichende Schutterrasse zu erreichen, hatte ich nur noch
auf der der Tosa Hütte zugekehrten Seite eine steile, nicht schwierige Wandstufe von
etwa 5 m Höhe zu erklimmen und stand am Rande der zweiten Schutterrasse, die
über die steile Wand jäh zur Tiefe absetzt. Eben als ich hier emporkletterte, hatte ich
Stimmen vernommen und dieselben sofort als die meines Bruders und seiner Ge¬
fährten erkannt, und bald hatten meine guten Augen die Gefährten gefunden. Sie
querten von der Bocca del Rifugio auf dem nächsthöheren, ober der Markierung be¬
findlichen Bande hinüber zur Bocca. Ich hatte nun eine kleine Ruhepause und auch
Zeit, mit meinem kleinen, photographischen Apparat, den ich insgeheim ebenfalls ein¬
gepackt hatte, Aufnahmen zu machen. Ausnehmend schön ist der Blick von diesem
luftigen Sitze auf die Hütte mit dem Croz del Rifugio und dem Monte Daino. Diesen
mußte ich rasch im Bilde festhalten. In demselben Augenblick tauchte aber schon
mein Bruder über den Rand des Abbruchs empor. Er war gleich mir von der Bocca
in wenigen Minuten heraufgestiegen, während sich die Gefährten, denen wohl die
Arbeit an der Gma Margherita etwas in den Gliedern steckte, gemächlich Zeit ließen.
Als wir dann alle versammelt waren, stiegen wir im losen Schutte über die von der