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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.38 (1907)
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Hanns Barth und Alfred von Radio-Radiis

Schnell ward nun gewappnet. Ein Rebschnurgürtel, um sich gegebenen Falls
buchstäblich aus der Schlinge ziehen zu können; scharfe Dolche für meuchlerische
Verwundung in Form von Prima-Stahlhaken und den von den Erstersteigern ver¬
faßten Steckbrief in der Brusttasche — also der Erste; ein mageres Ränzlein mit
ein paar Tropfen und Bissen zum etwaigen Siegesmahl — also der Zweite; dann
nahmen beide lindsohlige Kletterschuhe an die Füße, um im »Leisetritt« über kitz¬
liche Stellen hinwegzukommen, und endlich ein 30 m langes, etwas verdächtig ab¬
genütztes, daher von »Freundschaft« bereitwilligst geborgtes Seil. Noch ein messen¬
der Blick auf den Gegner und gedämpft klingt der Schlachtruf: Heil uns! — Schicksal,
nimm deinen Lauf!

Über den Kamm wird nach links eine kleine Rasenterrasse betreten, ein winziges
Fleckchen des grünen Vegetationskleides der Mutter Erde, das letzte in dieser Fels¬
wildnis, das letzte vielleicht überhaupt —?

Der Fels daneben weist eine Runse, als wollte er meine Grübelfalte nachäffen.
Das ärgert mich und nach kurzer Balgerei ist er überwunden. Nun kann man schon
hinter den Schild gucken und sieht auch die steinerne Faust, einen zwischen Vor¬
zacken und Bergwand eingeklemmten Felsblock, die ihn scheinbar hält. Gespannt
eilen wir über Schutt an die innen grottenartig gewölbte Wand des Schilds, die
ein seichter, schräger Sprung ritzt, der bei einer Felsbeule endet.

Die Schwierigkeit dieser verheißungsvollen Einleitung ließ den luftigen, ein¬
drucksvollen Blockübergang leicht erscheinen, und auch die »Promenade« auf hand¬
breiten Gesimsen, welche rechtwinkelig bei zunehmend malerischem Tief- und Aus¬
blick die weite Nische unter einem gelbroten, seilringgeschmückten Überhang durch¬
zieht, bringt nur angenehme Anregung. Aber jetzt, wo wir über leichte, gebänderte
Felsen in der Südwand des Bergs ansteigen und voreilig jauchzend unseren An¬
griff verraten, da zeigt sich flugs die ganze Feindseligkeit des aus seiner Sorglosig¬
keit aufgescheuchten Felsungeheuers.

Himmelhoch aufschnellend, blank gescheuert, eine einzige Wand. Wo ist
deine schwache Stelle?

Auf schmalem Schuttband stehend, das Haupt weit zurückgebogen, zweifelnd
an der Richtigkeit unserer Notizen, irrten unsere Blicke auf und ab. Anfangs halt¬
los, jetzt hier, dann dort, endlich höher und höher hinauf Angriffsmöglichkeiten ent¬
deckend, und nun gar fast vor den Augen: ein Haken! Da muß es also gehen!
Zum Beginn geringer als erwartet, nahm die Schwierigkeit mit der Höhe und
Steilheit rasch zu, und bald habe ich das Gefühl, nur mehr mit den Fingerspitzen
den hinaushängenden Körper zu halten. Zum Glück ist das Gestein fest, aber in
der Höhe etwas glattleistig. Und jetzt kam, was ich befürchtet hatte: »Das Seil
ist gleich zu Ende!«

So tief, so fern klang dieser Warnungsruf, als käme er aus einer anderen
Welt. Ich guckte über die Achsel nur einen Augenblick, und sah den schauerlichen
Abgrund, die nebelfinstre Schlucht im düsteren Schweigen — fürwahr ein Blick ins
Jenseits! Mächtig regte sich der Wille zum Leben, und als ich — das Seil, dessen
illusorische Sicherung ich voll erkannt, hatte gerade noch gereicht I — mich aufatmend
auf einen winzigen Vorsprung hinaufstemmte, da schmetterte ein lauter Jauchzer
jubelnde Daseinsbejahung hinaus und das Echo stimmte schallend ein. Zwiefach
durchbohrt, hatten hier abermals unsere Vorgänger die Waffen*im starren Felsen¬
leib des wilden Bergs stecken lassen, und wir dankten ihnen für diese willkommene
Sicherungsmöglichkeit.

Eine gelbrote Schuppe scheint sich vom Felspanzer lösen zu wollen; doch sie
ist fest und in luftiger Kletterei klimmen wir auf ein schmales Band hinauf und
stehen gleich darauf in der Scharte des scharflinigen Ostgrats, bereits hoch über