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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.39 (1908)
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Skizzen aus der Hohen Tatra

Hlinskaturm Großer Kleiner Meeraugspitze

Basteischarte Gemscnseeturm Basteitiirme

Tatraspitzen Höllcnturm

Hintere Bastei

Satanscharte

Satan


Satan-Basteigntppe vom Hauptgipfel des Solisko.

Wortes, trennte uns von dem uns überragenden trotzigen Hlinskaturm, 2334 in, 1 )
dem nördlichsten Gipfel unserer Kette. Genau ebenso wie ein Jahr vorher am Solisko-
grat standen wir jetzt vor der Alternative, die Tour wegen der späten Stunde ab¬
zubrechen oder sie doch noch fortzusetzen, und genau ebenso wie vor einem Jahre
entschieden wir uns dafür, auf jeden Fall unser Werk zu Ende zu führen. Gerade
auf den Hlinskaturm zu verzichten, hätte uns sehr leid getan, denn wenn er auch
hinter dem höchsten Gipfel nördlich der Satanscharte, der Hinteren Bastei, an Höhe
zurückbleibt, so ist er doch fraglos der orographisch wichtigste Gipfel der ganzen
Kette, da er den Knotenpunkt dreier Grate darstellt: Der Grat Koprovapaß-Nellyspitze
von Nordosten, der Gebirgszug Triumetal-Csorberspitze von Westen und die Satan¬
kette von Südsüdosten treffen sich im Hlinskaturme. Es ist ein merkwürdiger Zufall,
daß gerade dieser hübsche Gipfel noch unerstiegen geblieben war, und eben deshalb
legten wir auf den Hlinskaturm ganz besonderen Wert.

Da der geradezu phantastisch zerzackte Nordgrat des Großen Gemsenseeturms
vielleicht überhaupt nicht gangbar ist, zum mindesten aber viel Zeit gekostet hätte,
holten wir zu einer Umgehungsbewegung auf der Seite des Mlinicatals aus und
erreichten dadurch trotz eines nicht ganz unbedeutenden Höhenverlustes die Bastei¬
scharte in ziemlich kurzer Zeit. Unverzüglich nahmen wir den Hlinskaturm in An¬
griff. Es folgte nun eine nicht eigentlich schwere, aber unangenehme Kletterei über
auffallend brüchige, mit Rasenflecken gesprenkelte Felsen. Auf einer kleinen Terrasse
ließen wir den größten Teil unseres Gepäcks zurück und drangen beinahe im Lauf¬
schritt bis an den Fuß der senkrechten Schlußwand vor. Ob man diese Wand etwa
umgehen konnte, danach zu sehen nahmen wir uns gar nicht die Zeit, wir wußten
nur: Hier ist eine Wand, darüber muß der Gipfel sein, also rasch hinauf! Kaum
hatte ich diesen Gedanken gefaßt, und schon stürmte ich in Kletterschuhen durch einen
engen, senkrechten Riß aufwärts. Immerhin konnte ich trotz meiner atemlosen Eile

J ) Auf den meisten Tatrakarten ist dieser Punkt 2334 m als Hintere Bastei bezeichnet; dies ist
aber ein Irrtum, in Wahrheit heißt dieser Gipfel schon seit langer Zeit Hlinskaturm.