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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.39 (1908)
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DIE SÄCHSISCHE SCHWEIZ ALS KLET¬
TERGEBIET. VON DR. G. A. KUHFAHL

Ochon seit mehreren Jahrzehnten läßt sich an dem Anwachsen des sommer¬
lichen Reiseverkehrs in den Alpen und an dem Mitgliederstand der zahlreichen
Touristenvereine deutlich erkennen, daß die Lust zur Bergsteigerei in Deutschland
mehr und mehr Gemeingut breiterer Volkskreise geworden ist. Heute macht es
der wachsende Wohlstand zusammen mit der Verbilligung der Reisegelegenheiten auch
dem Minderbemittelten möglich, die Kosten für eine Alpenfahrt aufzuwenden. Die
gesteigerten Anforderungen, die das Großstadtleben in Handel und Wandel an alle
werktätigen Bewohner stellt, haben außerdem dazu geführt, daß die Gewährung einer
sommerlichen Ruhepause nicht mehr das Alleinrecht der Lehrerschaft und der höheren
Beamten geblieben ist, sondern daß auch andere Erwerbsklassen ihre Arbeitsstätten
für einige Wochen des Jahres zu Erholungszwecken verlassen dürfen. Während die
alpine Bergsteigerei also früher in der Hauptsache nur demjenigen offen stand, der
Geld und Zeit in reichlichem Maße besaß, vermögen jetzt viele Tausende auch bei
beschränkter Freiheit und bescheidenen Mitteln ins Hochgebirge zu ziehen.

Hand in Hand mit dieser Verallgemeinerung des alpinen Reisens ging bei einem
nicht unbeträchtlichen Teile dieser großen Besucherschar eine Steigerung der eigenen
sportlichen Fähigkeiten, die hinter den Durchschnittsleistungen der berufsmäßigen
Führerschaft bald nicht mehr zurückstanden. Andere Gründe verschiedener Art
traten dazu, um die Vorliebe für führerlose Bergfahrten rasch zu verbreiten.

Viele von diesen Alpenbesuchern streben heute darnach, während ihrer knapp
bemessenen Urlaubsfrist sofort aus eigener Kraft an die schwierigsten bergsteigerischen
Aufgaben heranzutreten. Da sie nicht in der Lage sind, sich vorher alljährlich aufs neue
durch kleinere, zeitraubende Unternehmungen in den Alpenländern selbst das nötige
Maß von Sachkunde, Gewandtheit oder Ausdauer anzueignen, so entstand das Bedürf¬
nis, sich zunächst durch Einsicht der Literatur die Erfahrung der Vorgänger theoretisch
zunutze zu machen und den Körper für die zu erwartenden Anforderungen bereits
daheim gehörig zu schulen. Lange Märsche im Flachlande oder Radfahrten, Frei¬
übungen und Turnkünste, Bewegungsspiele und Kraftproben aller Art können diesem
Zwecke bei systematischer Durchführung zwar dienlich sein, sie bleiben zumeist
aber doch ein Notbehelf und vermögen in ihrer Einförmigkeit dem berggewohnten
Naturfreunde sicher keine besondere Befriedigung zu gewähren. Für ernstere Berg¬
steiger lag es darum näher, sich zur Erhaltung ihrer körperlichen Rüstigkeit und
Klettergewandtheit, auch fern von den Alpenländern natürliche Übungsstätten zu
suchen und dabei in Ermanglung hochragender, vergletscherter Ziele mit den vor¬
handenen niedrigeren Felsgebilden vorlieb zu nehmen. Den Mittelgebirgen aller
Größen wurde damit eine bisher unbeachtete Seite abgewonnen. Während der ge¬
wöhnliche Verkehr daselbst nur die naturgemäßen bequemen Wege einschlägt und

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