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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.39 (1908)
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176 Günter Dyhreniurth und Dr. Alfred von Martin

feststellen, daß dies eine ganz besonders hübsche Kletterstelle war, eine nicht leichte,
wirklich genußvolle Kaminarbeit. In einem kleinen Schartel stehend, sicherte ich den
mit größter Beschleunigung folgenden Rumpelt, und kaum stand er neben mir, da
setzte ich die Hetzjagd auch schon fort. Eine kleine, grifTlose Steilstufe kam mir
in die Quere, eine Art Stemmkippe, und sie war genommen. 8 Uhr abends — wir
standen auf dem Gipfel des Hlinskaturms! J ) Einen Augenblick atmeten wir auf,
einen Augenblick voll Siegesfreude, doch der wog mehr, unendlich mehr, als viele
Stunden des grauen Alltags. Während der eine von uns einen kleinen Steinmann
errichtete, machte der andere die Eintragungen im Gipfelbuch, und schon begannen
wir den Abstieg. Diesmal umgingen wir die Schlußwand.

Allmählich begann es zu dämmern, und mochten wir uns auch noch so sehr
beeilen, die zurückgebliebenen Sachen in unsere Rucksäcke hineinzustopfen, es ließ
sich doch nicht verhindern, daß die letzten Minuten der Kletterei infolge der Dunkel¬
heit ziemlich ungemütlich wurden. 8 Uhr 40 Min. erreichten wir die von der Bastei¬
scharte ins oberste Mlinicatal hinunterziehende Schlucht. Was nun folgte, war ein
genaues Gegenstück zu unserem nächtlichen Abstieg ins Furkotatal. Die allmählich
hereinbrechende Nacht und die ziemlich bedeutende Steilheit der Rinne machten
diesen Abstieg genau ebenso unangenehm wie den damaligen, und manchmal hatte
ich das Gefühl, als läge garnicht ein volles Jahr dazwischen, als wäre es eine un¬
mittelbare Fortsetzung. Ein kleiner Unterschied bestand allerdings darin, daß eine
längere Strecke ganz harten, überkrusteten, vereisten Schnees die Sache diesmal ent¬
schieden noch ungemütlicher machte; nur durch größte Vorsicht konnten wir diese
Stelle meistern, indem wir besonders die Kluft zwischen Schnee und Fels benützten.

Als wir die Schlucht hinter uns hatten, da hatten wir gewonnenes Spiel, denn
ein Verirren brauchten wir in dem uns so wohlbekannten Mlinicatale nicht zu fürchten.
An den Oberen Gemsenseen ging's östlich vorbei und rasch gelangten wir, trotz
der Dunkelheit kleine Strecken abfahrend, zum Unteren Gemsensee. Hier streckten
wir uns auf weiches Moos zu kurzem Schlummer; sobald das Frieren beginnen
würde, wollten wir den Marsch fortsetzen. Es war für uns ein entschieden herz¬
erfreuender Anblick, beim Liegen auf der linken Seite die Türme des Soliskograts,
beim Herumdrehen auf die rechte die eben bezwungenen Zinnen sich dunkel und
geheimnisvoll gegen den Sternenhimmel abheben zu sehen. Wie wir dies schon
erwartet hatten, weckte uns die Kälte pünktlich nach einer Stunde auf, und schlaf¬
trunken setzten wir uns wieder in Bewegung. Am Skoksee und Schleierwasserfall
wanderten wir vorbei hinunter zum Csorbersee. Doch damit war's heute noch nicht
abgetan; zu unserer größten Betrübnis mußten wir zu guter Letzt wieder steigen,
um hinein ins Gebirge zum Poppersee zu gelangen. 43/4 Uhr morgens, nach 26 I /2Stün-
diger Abwesenheit, überschritten wir die Schwelle des Schutzhauses.

Zwei Tage später bezwangen wir zusammen mit Herrn E. Dubke und dessen
Führer Franz sen. wohl den schwersten Gipfel der Tatra, den trotzigen Simonturm.
Damit schlössen wir ab. Zwar barg und birgt die Tatra für den Kletterer noch viele
schöne Probleme, doch trugen wir für den Augenblick darnach kein Verlangen.
Das Ziel unserer Wünsche war erreicht, wir waren befriedigt. Obendrein ging
meine Zeit zu Ende, andere Verabredungen riefen mich fort in die Alpen.

x ) Ich möchte erwähnen, daß die von uns für die ganze Gratbegehung benötigte Zeit ein Maximum
darstellt. Herr E. Dubke wiederholte unsere Tour einige Wochen später in erheblich kürzerer Zeit.