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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.41 (1910)
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202 Dr. Hermann Schwarzweber

d DIE DURRECKGRUPPE a

EIN BEITRAG ZU IHRER ERSCHLIESSUNG
VON Dr. HERMANN SCHWARZWEBER

Sei mir gegrüßt, du blaue Vase mit deinen schimmernden Sternen von Edelweiß,
mit deinen feingeästelten, fruchtgeschmückten Lärchenzweigen, in denen so manch
goldig Harztröpfchen verschwiegen glitzert, und mit deinen warmen Farben der Erika!

Goldige Arnikaköpfchen schauen verwundert aus dem Strauß heraus, als wollten
sie mich fragen: Weißt du noch ? Und dann kehrt sie zurück, eine Welt von
Erinnerungen strömt herauf, wird mir aufs neue erzählt von den lieben Blumen¬
köpfchen da drinnen, von dem sanften Edelweiß und der verträumten Erika. Und
sie erzählen mir und erzählen ....

Und dann taucht sie auf, die stille Alpenwelt dort unten, wo fernher die Dolomit¬
berge leuchten und ringsum die Firnen brennen in stillem, seligem Glänze. Dar¬
über ein tiefer, blauer Himmel. Über dunklen Wäldern türmen sich hohe Wände,
dazwischen weiß leuchtend die Gletscher, in samtenen Almböden fast versteckt
die kleinen Sennhütten. Und hinunter blicke ich in die freundlichen Täler, wo
mit goldenen Strichen der Ernte Segen quillt, wo die Dörfchen sich aneinander
reihen und die weißen Häuschen mit den braunen Scheunen stehen. Wo die roten
Geranien vor den Fenstern glühen wie Lichter, grünbuschige Obstbäume sich
schmeichelnd um die Höfe drängen. Ein feines Sträßchen sehe ich den murmeln¬
den, rauschenden Bergbach entlang ziehen, der soviel zu tun hat mit den vielen
Gletschern da droben. Aber ich sehe noch mehr. Ein liebes Häuschen taucht
auf, hoch droben an steiler Berglehne; über das wettergebräunte Balkenwerk hängen
leuchtendrote Nelken herab, weiß schimmert die Stirnwand ins Tal. Drinnen
wohnen liebe, trauliche Menschen. Ich sehe sie mit frommem Gruß am kleinen
Kirchlein vorbeigehen zu ihrer Tagesarbeit, und dann klappert am Bach das
Mühlrad, dann läuten die Herdenglocken, und über das Tal tönt der Juhschrei des
Hirten. Durch die weiten Lärchenwälder geht dann ein Rauschen wie Atemholen
vor der Arbeit. Dann wieder vermeine ich sonniges Lachen zu hören, so lieb
und fein, wie von lieben, blonden Mädchen. Und jetzt wieder rauscht das Hochtal:
ein mächtiger Orgelklang.

All das sehe ich, höre ich und fühle ich, und sie alle erzählen mir's immer
wieder, Kindern gleich, die nicht sofort eine Antwort bekommen, das stille Edel¬
weiß, die liebe Erika und das goldene Arnikaköpfchen; und dazwischen spricht
auch das Lärchenzweiglein, und alle, alle fragen: weißt du noch ? Und dann ist
oft ein Lärm in meiner stillen Stube, ein Kichern und Lachen, ein Necken und
Zupfen und Stoßen, ein Erzählen und Fragen und Erinnern, daß ich die Fenster
öffnen muß und weit hinausschaue über mein Städtlein, hinüber zu dem dunkeln
Kranz der Schwarzwaldberge und hinauf zu den schimmernden Sternen, die wohl
auch leuchten über dich, du mein liebes, stilles Durreck!

Du blaue Vase mit deinen schimmernden Sternen von Edelweiß, mit deinen
feinen Lärchenzweigen, in denen so manch goldig Harztröpfchen verschwiegen
glitzert, und mit deinen warmen Farben der Erika, sei mir gegrüßt!