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Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd.41 (1910)
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Die Durreckgruppe 239

Hauptgrat, dem Nordgrat, zurück und entschließen uns, gerade durch die Flanken
hinabzuklettern. Kommen natürlich an ganz unangenehme Stellen. Besonders
anmutig ist eine rotgelbe Abbruchstelle eines noch jungen Bergsturzes. Bis wir
uns da durchgeschwindelt hatten! Nach drei langen Stunden atmeten wir froh
auf, als wir auf dem Firnfleck unten standen. Schaufler meinte, das Klettern
in der Wand der Parseierspitze sei lang nicht so schwer.

Nun kam das Hinabrutschen, Springen zwischen mächtigen Trümmerblöcken;
als es schon Nacht war, noch einmal das Durchklettern einer Wandstufe, bei
der zur besseren Unterhaltung ein fröhlich Wässerlein dieselbe Rinne benutzte;
ingrimmig Fluchen hinter mir. Ein abenteuerliches Abfahren über glatte Berg¬
wiesen und endlich, endlich zwischen den Tannen hindurch die ersten Lichtlein
von Rein. Seid uns gegrüßt, ihr liebliche Boten! Noch ein Stolpern durch
den Wald, wütender Kampf mit Bodenwurzeln, ein Überklettern der verschiedenen
Zäune, Durchschleichen durch Ährenfelder, und jetzt sind wir an der Kirche, wo nach
alter Regel und auch nach meiner Erinnerung das Wirtshaus stehen soll. Das
Haus steht noch, aber die Wirtschaft ist verschwunden. Nach einer weiteren
Viertelstunde haben wir das zweite Gasthaus entdeckt.

Und jetzt kommt auch der befreiende Humor, daß wir recht herzlich lachen
müssen, nach Ersteigung des Durrecks noch einen solchen Kampf führen zu
müssen mit Baumwurzeln, Zäunen und der Verschlafenheit eines schon zu Bett
gegangenen Dörfleins. Und dann kommt auch wieder die goldige Erinnerung an
die ganze Tur, den reinen Neuschnee, die weißen Platten, die scharfe Kletterei
und die schönen Tiefblicke, und mit Dank schauen wir noch einmal hinauf, dorthin,
wo unter funkelnden Sternen die hohe Spitze dämmert. Ihr Berge, habt Dank!
^ n ^ nun ' e k won ^> mem ^ e ^ Durreck! Wir müssen scheiden.
In schwerem Wogenschlag hat Welle auf Welle schwarze
Wolken heraufgeschoben und ich liege hier auf dem „Bödele", einer fast ebenen
Baumwiese des Kammes zwischen Bären- und Großklausental. Und da lieg ich
und schau hinaus und hinein in die Schönheit und stille Schwermut meines
lieben Durrecks. In düsteren, schwarzen Wänden mit Runzeln und Rinnen steh'n
sie um mich herum und schauen zwischen den Tannen hindurch auf mich herab,
die trotzig wilden Gesellen, mit denen ich so manchen frohen Tag gestritten,
so manchen sonnigen Tag friedlich verlebt. Und still sehen sie mich scheiden.
Da schau, da stiehlt sich noch einmal ein Sonnenstrahl zwischen dem schwarzen
Wolkenwogenschlag hindurch. Gleich glänzen im Tal die Wasser, deren rhythmisch
Rauschen bis herauf zu mir dringt, feine, weiße Sprühlinien scheinen die Gletscher
der Zillertaler einzufassen, und auch an die Wände des Durrecks kommen warme
Lichter. Einsam hab ich heute den Tag mit euch zugebracht, ihr stillen Berge
und verschlossenen Täler, allein über eure Höhen bin ich gestiegen, durch eure
Täler gewandert, und eure stille Schönheit zog mir von neuem ins Herz. Die
dunkelemsten Tannen und die grünen, feinästeligen Lärchen rauschen leise; die
Gräser zittern mit ihren Lichtpünktchen über dem Boden, und fernher dringt der
Herdenglocken melodisch Geläut. Weit draußen fegen schwarze Wolken ins
Ahrntal, schon stürzen sie sich auf die äußersten Berge des Durrecks. Die
Wolken über mir tragen leuchtende Säume um ihre schwarzen Mäntel.

Soviel Tage und Wochen bin ich jetzt unter euch geweilt, ihr Berge des
Durrecks, und alle seid ihr mir zu guten Freunden geworden, die ihr Untreue
und Falschheit nicht kennet, zu lieben Gefährten. Ein Ausschütten von Schönheit
der Welt und ihren Wundern war's, ein selig Genießen und glühenderes Leben«.
„Dann erst genieß ich meines Lebens recht, wenn ich mir's jeden Tag aufs
neu erbeute." Lebendiger hab ich gelebt.