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Fjord-, Berg- und Schneeschuhfahrten in Grönland 97
legten wir uns ein paar Stunden zum Schlafen auf die Bretter. In steter Besorgnis,
die folgende Beobachtungszeit zu verpassen, wachte ich trotz der Müdigkeit alle
halben Stunden auf und sah nach dem Stand des Chronometers. Es folgte eine
Anzahl Sonnenbeobachtungen zur Längenbestimmung. Einen letzten Blick warfen
wir über den ganzen Eishorizont; am längsten blieb er im Osten haften. Jetzt,
wo wir freie Bahn hatten, wo wir uns so stark und unternehmungsfreudig fühlten,
umkehren zu müssen! Bitter! bitter! — Wir werden wiederkommen!! Wir
wandten uns, fuhren den Abend und die Nacht hindurch. Der Wind hatte die
Spuren des Hinwegs schon völlig verwischt; ich benutzte fleißig den Kompaß, und
so kamen wir am folgenden Morgen früh doch glücklich wieder beim Zelt an, der
unverwüstliche Baebler, den die Tur weniger angestrengt hatte, mir etwas voraus,
um „das Essen zu bestellen". Es war uns eine Erleichterung, als unsere Augen
zum erstenmal wieder dies kleine graue Nichts mit dem roten Pünktchen — der
Schweizerflagge, die uns grüßen sollte — durchs Glas vor uns entdeckten. Es ist
mir noch wohl erinnerlich, daß ich mich damals fragte, wie sich wohl das Stra߬
burger Münster ausnehmen würde, wenn man es in diese Umgebung hinein¬
stellte; wie weit es den Raum beherrschen, wie bald es von dieser Unendlich¬
keit auf ein Spielzeug, dann auch auf einen Punkt reduziert sein würde. —
Die Berechnung zeigte später, daß wir den Hundertkilometerpunkt, vom Eisrand
aus in der Luftlinie gerechnet, etwas überschritten und auf diesem Vorstoß vom
24. bis 26. Juli hin und zurück etwa 85
km
zurückgelegt hatten. Im Augenblick,
als wir zurückkamen, mochte ich freilich nicht mehr zur Logarithmentafel greifen;
ich für meinen Teil war recht müde; auch hatte der Rucksack mit den schweren
astronomischen Instrumenten meine „russische" Schulter — ich hatte sie vor
vielen Jahren bei Moskau auf Schlittenfahrten beschädigt — wieder so gefühlvoll
gestimmt, daß ich zuletzt meine Bürde alle tausend Meter hatte niederlegen
müssen. Und dann der Durst! Wir konnten das Sieden des Tees nicht ab¬
warten — nur Wasser 1 Dann legten wir uns zur Ruhe, ohne zuerst die Luftkissen
der Schlafsäcke nachzusehen, und träumten von einer Durchquerung Nordgrönlands!
Zeitschrift des D.u. ö. Alpenvereins 1911
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