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Amtsblatt 1939 Nr. 12 - Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
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Amtsblatt Nr.12

so salire Gaswerk Innsbruck

Von öaswerkdirektor lng.

soellner

Die Entwicklung der Menschheit basiert auf ihren Erfindun-
gen, die Kulturen sind Folgen der letzteren. So war es eine
Kulturtat, als im Jahre 1786 ein Deutscher, der Apotheker
und nachmalige Professor Pickel, in Würzburg seine Apotheke
mit ein paar Flammen beleuchtete, die von einem Gas ge-
speist wurden, welches er aus Knochen und Fettabfällen ab-
destillierte. Es war dies das e rst e durch trockene Destillation
gewonnene Leuchtgas.

Die Nationen Europas bauten diese Erfindung schrittweise
weiter aus, und nach mehreren Jahrzehnten gab es bereits
einen Stab von Fachleuten, der sich berufsmäßig mit diesem
Können, dieser Technik, befaßte. Sehr frühzeitig schlössen sich
diese Männer, wiederum erstmalig in Deutschland, und zwar
in Frankfurt a. M., zu einem Verein zusammen, der später
große Bedeutung erlangen sollte. Das war im Jahre 1859.

Aber noch ehe dies geschehen war, und Zwar bereits am
14. Februar 1857, ging der provisorische Bürgermeister Josef
Anton Neuner im Namen der Stadtgemeinde Innsbruck einen
Vertrag mit dem Ingenieur Ludwig August Niedinger aus
Augsburg ein, nach welchem letzterer auf seine Kosten eine
Gaserzeugungsanlage, das notwendige Nöhrensystem und
eine öffentliche Straßenbeleuchtung im Ausmaße von 206
Flammen zu erstellen hatte, wohingegen ihm für 30 Jahre
das ausschließliche Necht verliehen wurde, Gasleitungen auf
städtischem Grund Zu verlegen und Gas an die Bewohner ab-
zugeben. Die Straßen- und nicht die Privatbeleuchtung, wie
zuerst bei Pickels Kleinanlage, stand also nunmehr im Vorder-
grund und gab zu jener Zeit den Anstoß für die Erbauung
von Gasanstalten.

Innsbruck ist damals sehr vielen Städten, die weit größer
und in weit günstigerer Lage waren, zeitlich vorangegangen,
ein Zeichen, daß der Sinn der Bürger alles andere eher als
rückständig war. Hat man doch nicht allzulange vorher in Köln
zum Beispiel die Gas-Straßenbeleuchtung bekämpft, mit Hin-
weis darauf, daß sie gegen die göttliche Ordnung, die die
Nacht zur Finsternis bestimmt hat, verstoße und daß sie, da
sie den Leuten das nächtliche Verweilen auf den Straßen
leichter mache, die Moral untergrabe. —

Niedinger erbaute seine Anlagen, von denen heute nur noch
das Direktorwohnhaus in der Nähe des Hallenbades steht,
und ging damit am 20. N ov emb er 1859 in Betrieb. Am
Abend dieses Tages erstrahlte in Innsbruck, entsprechend be-
staunt, Zum ersten Male die öffentliche Gas-Straßenbeleuch-
tung. Sehr klein nach unseren heutigen Begriffen waren die
damals abgegebenen Gasmengen, aber stetig stiegen sie an.
Am 1. Jänner 1864 ist das Gaswerk in den Besitz der Ge-
sellschaft für Gasindustrie in Augsburg übergegangen. Ohne
alle Nückschläge und bei sehr guten Gaspreisen — wie sie
die Beleuchtung nun einmal verträgt — ging die Entwicklung
bergan, so daß die Stadtgemeinde bald selbst Appetit auf
diese Werkanlagen bekam. Aber Wohl mit Rücksicht auf die
damals noch relativ sehr spärlich vorhandenen leistungsfähigen
Fachleute und das Lehrgeld, das -man andernorts bezahlt
hatte, entschied man sich 1885 — also vier Jahre vor Ablauf
des Konzessionsvertrages — Zu einer Verlängerung desselben.
Am 20. Juni jenes Jahres schloß Bürgermeister Dr. W. Falk
diesen 15jährigen Nachvertrag, der bis 31. Dezember 1904
lief und unter anderem die Verwendung von Steinkohle vor-
sah, während man bisher ausschließlich Holz entgaste. Nun
waren die Voraussetzungen für eine großzügigere Entwicklung
gegeben und die Gesellschaft schloß Verträge mit den Nach-
bargemeinden, 1886 mit Willen, 1897 mit Pradl, 1904 mit
Hotting. 1906 schloß die Gemeinde Innsbruck einen Liefer-

Vertrag mit Mühlau. Dadurch wurden alle diese Gemeinden
der Vorteile der Gasbelieferung teilhaftig.

Inzwischen waren aber auch die Elektrotechnik und die
Glühlampe auf den Plan getreten. Die Stadtgemeinde hatte,
wiederum unter Bürgermeister Dr. W. Falk, am 1. Oktober
1888 einen Vertrag mit der Firma Ganz k Co. in Budapest
geschlossen, welcher diese verpflichtete, eine elektrische Anlage
am Wurmbach herzustellen und die Stadt mit Strom Zu be-
liefern. Die elektrische Anlage wurde unseres Wissens in
Innsbruck erstmalig 1889, also genau 30 Jahre nach der Gas-
beleuchtung, eröffnet, die ersten damaligen Lampen hat die
heute noch bestehende Firma Hopffer K, Neinhardt installiert.

Es Zeigt von einem beachtlichen Weitblick, daß sich kurz nach
Vertragsabschluß Ganz K Co. mit der Augsburger Gasgesell-
schuft Zu einer gemeinschaftlichen Ausnützung der Konzessionen
Zusammengeschlossen hat, um unwirtschaftliche Konkurrenzie-
rungsaufwände zu vermeiden. Zu jener Zeit war also das
Gaswerk bereits — damals in angenehmer Weise — mit der
Stromlieferung verflochten.

Mit Kaufvertrag vom 29. Oktober 1897 hat die Stadt-
gemeinde unter Bürgermeister Wilhelm Grell von dem ver-
traglichen Nechte des Ankaufes des Elektrizitätswerkes Ge-
brauch gemacht und die Anlage ab 1. November 1897 in
eigenen Betrieb übernommen. Der Aufwärtsentwicklung des
Gaswerkes hat dies keinen Damm zu setzen vermocht, im
Gegenteil wurden lange die Ausfälle auf der Stromseite durch
die Überschüsse aus dem Gaswerk gedeckt.

Der relativ kurzfristige Vertrag der Stadt mit einer Gas-
gesellschaft drückte sich — wie allenthalben so auch hier — in
einer großen Scheu vor Investitionen aus und es resultierten
infolgedessen sehr herabgearbeitete Anlagen, die am 1. Jan-
ner 1905 kostenlos an die Stadt kamen.

In die erste Zeit des städtischen Besitzes fielen leider meh-
rere Unfälle, worunter die Explosion des Maschinenhauses der
bedeutendste war. Ende 1907 ging man an das Studium der
Erbauung eines neuen Gaswerkes. Das naheliegendste war
die Verlegung des Werkes nach außerhalbderStadt
bei Geleiseanschluß. Eine Berechnung, welche die alte Ne-
tortenanlage an der Gasbrücke als Neserve einsetzte und da-
für den ersten Ausbau der neuen Fabrik mit vier Sechstel der
Gesamtleistung projektierte, drang aber durch. Die Folge
zeigte, daß die Berechnung zwar Zahlenmäßig vollkommen rich-
tig, aber sachlich falsch war, denn wegen ihrer großen Wirt-
schaftlichen Unterlegenheit konnte die alte Anlage nie wieder
in Betrieb kommen. In der Neubaufrage hatte man von Haus
aus einen auswärtigen Sachverständigen Zu Nate gezogen.
Zum Glück für die Stadtgemeinde konnte die sunae Werk-
leitung dessen Vorschläge, die in dem Bau schräger, übergroßer
N etorten gipfelte, Ende 1907 Zu Fall bringen, womit sie
endgültig abgetan waren.

Zum Bau gelangten erstmalig Kammeröfen auf einem
Gaswerk, wie sie bisher nur für Kokereien entwickelt waren.
Ihre Adaptierunq für Gasverhältnisse stellte an die Findig-
keit und an die Leistung des Personals erhebliche Ansprüche,
gestaltete sich in ihrem Endergebnis dafür aber um so glück-
licher. Es sind in jenen Jahren hier Einrichtungen geschaffen
und Methoden entwickelt worden, die sich bis heute bewähren.
Die Kammer gab dem Gaswerk die Möglichkeit, Großmenaen
wirtschaftlicher herzustellen als die bis dahin verwendeten Ne-,
torten. Das bot die Grundlage für Werbemöglichkeiten und
für Finanzierungsmethoden, die in Innsbruck die Devise
„Kein Haus ohne Gas" zur Erfüllung brachte, bevor sie
andernorts geprägt war.