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Amtsblatt 1939 Nr. 06 - Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
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Amtsblatt Nr. 6

unterstützen. Nun folgen Bestimmungen über die Weide¬
gemeinschaft, die Richter- und Gerichtsboten-Wahl, die
Auflage einer Steuer und die Pfändung. Die Münze follie
nach dem Augsburger Fuße geprägt werden.

Anschließend werden die Strafsätze für strafrechtliche
Vergehen festgelegt, wie für Tötung, Lähmung, fließende
Wunden, Heimsuche und Maulschlag. Der dem bajuwari-
schen Rechte eigentümliche Ausdruck Verch-Wunde be¬
zeichnet eine sehr schwere, meist rötliche Verletzung z. B.
des Bauches, so daß die Eingeweide heraustreten, oder
der Hirnschale, so daß das Gehirn bloßliegt. Es ist bemer¬
kenswert, datz trotzdem die Strafe dafür geringer war,
als bei der Tötung und Lem. Der Ausdruck Verch-Wunde
ist noch heute im südlichen Innsbrucker Mittelgebirge be¬
kannt und soll vor etwa 100 Jahren (nach I. Rapp) noch
allgemein zur Bezeichnung der roten Ruhr gebräuchlich
gewesen sein. Bestraft wurden weiters der Vorkauf, meist
der Kauf der Früchte auf dem Halm, fowie Matz- und
Gewichts-Fälschungen. Der Frevel „Heimsuche", d. i. das
feindselige Nacheilen in ein fremdes Haus, wird zweimal
genannt. Vielleicht hat dies feinen Grund in einer Zufam-
mensetzung der vorliegenden Rechtssätze aus verschie¬
denen, anderen Stadtrechten. Den Abschluß bilden privat¬
rechtliche Bestimmungen über die Ersitzungsfrist, die Er¬
werbung des Bürgerrechtes und die letztwilligen Ver¬
fügungen. Die große Zahl der im Schlußsatze des ganzen
Textes aufgezählten Zeugen, die zumeist den ersten Fami¬
lien des Landes angehörten, beweist die Bedeutung, welche
der Ausstellung dieser Stadtrechtsurkunde zukam.

Eine weitere, wichtige Frage, die jedoch hier nur mehr
erwähnt werden soll, ist die nach der Herkunft der im
Innsbrucker Stadtrecht enthaltenen Bestimmungen aus
anderen Stadtrechten. Den Anlaß hiezu bildete die Wahr¬
nehmung, datz ein guter Teil der Innsbrucker Rechtssätze
im Münchner Stadtrecht von 1294 wiederkehrt. Nach
S. Rietschel gab es nun folgende drei Möglichkeiten für
einen Zusammenhang dieser beiden Stadtrechte, nämlich
entweder wurde das Münchner Recht dem Innsbrucker
nachgemacht, was aber unwahrscheinlich sei, oder Bert-
hold III. von Andechs hat bei der Marktverlegung von
1180 der neuen Stadt das Recht des nahegelegenen Mün¬
chen verliehen oder aber dieser hat beiden Städten von
Hause aus ein gleichlautendes Privileg ausgestellt.
H. v. Voltelini kommt bei der weiteren Auseinander¬
setzung mit dieser Frage sogar zur Erwägung französischer
Einflüsse, für die der Besitz der Andechser in Burgund und
die Vermählung Herzog Ottos VIII. mit der Tochter des
Pfalzgrafen der Champagne sprechen sollten.

Es folgt nun der Wortlaut der Innsbrucker Stadt-
rechts-Urkunde vom 9. Juni 1239 in deutscher Übersetzung:

„Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit. Otto,
von Gottes Gnaden Herzog von Meranien, Pfalzgraf von Burgund.
Wir tun kund allen denjenigen, welche vorliegende Urkunde einsehen,
daß wir nach vorausgegangener Überlegung, ausreichend und gut
beraten, unserer Stadt Insbruke und allen unfern dafelbst weilen¬
den Bürgern das nachgeschriebene Recht, wie es von unfern Vor¬
fahren nach Erbrecht bis auf unsere Zeiten gelangt ist. zu ewigem
Besitz übertragen: es soll zwischen den Wässern, die Mellach und
Ciler genannt werden und in unserer ganzen Grafschaft nirgends
ein Niederlaß statthaben, außer in unserm Markt Insbruke. Sie
ldie Bürger) sollen alle Zölle frei und sicher passieren, nur in Eluse
(Klausen) sollen sie von einem Saumroß einen Pfennig geben,
ähnlich in Vogano (Bozen) von einem Saumroß einen Pfennig.
Auch jenseits des Ortes, welcher Anger heißt, sollen sie Weg und
Brücke haben, damit der Zutritt allen Menschen, Pferden und
Wagen offen steht. Die Weidegemeinschaft, welche Gemeinde ge¬
nannt wird, soll der Gesamtheit der Reichen und auch Armen
gleichmäßig zuteil werden. Kein Richter soll ohne allgemeine Zu¬
stimmung und Rat der Bürger erwählt werden und kein Richter

soll einen Gerichtsboten ohne Zustimmung und Rat der gen. Bür¬
ger einsetzen. Keine Steuer soll nach dem Rat der Ritter lMlites).
sondern nach dem Rat der Bürger aufgelegt werden. Kein an¬
kommender Fremder soll von der Mella(ch) bis zum Ciler für
irgendjemanden als für sich selbst ein Pfändung erleiden. Keiner
unserer gen. Bürger soll gepfändet werden, bevor er in unserer
obgen. Stadt sein Recht vor unserem Richter gesucht hat, das er.
wenn es ihm gewährt wird, unter guter Zeugschaft, wie es billig
ist. annehmen soll. Wrd ihm aber die Gerechtigkeit verweigert,
ae er unter Zeugen das Pfand nehmen, wie es recht ist. Wenn
ihm aber volle Gerechtigkeit zuteil wird, er sie über nicht annehmen
will und schließlich einen von unseren Leuten in der gen. Stadt
oder Grafschaft pfändet, so soll er als Räuber gelten und feine
Hand soll in unserer oder seines Richters Gewalt sein, wenn er
sie nicht mit 50 Pfund Auasburger Pfennigen löst. Die Münzwäh¬
rung der gen. Stadt soll jener von Augsburg ähnlich sein. Wenn
jemand einen anderen Menschen tötet, so verfällt Leib und Gut
des Mörders von selbst in unsere Gewalt. Eine Verwundung, welche
gemeinhin mit dem Worte Lem (Läbmuna) bezeichnet wird, büßt
init einer ähnlichen Strafe, wenn sie nicht mit 10 Pfund und
60 Auasburger Pfennigen vor unserem Gerichte abaelöst wird. Auch
der Kläaer erhält von gericktswegen 10 Pfund. Für die fließende
Wunde sind 3 Auasburger Pfunde und 60 Pfennige zu zahlen, dem
Kläger auch 3 Pfund.' Für den Frevel, der Heimsuche aenannt
wird, find 5 Pfund und 60 Pfennige vor unserem Gerichte zu
zahlen, und dem Kläaer 5 Pfund, die ebenfalls Augsburger Pfen-
niae sind. Für die Wunde, welche Verch genannt wird, sind vor
unserem Gericht 5 Augsburger Mund und 60 Pfennige zu zalilen
und dem Kläger 5 Pfund auszufolaen. Für die Verletzung welche
Maulschlaa aenannt wii-d. ist ein Auasburaer Pfund und 60 Men-
niae zu ?ab.len, dem Kläger 1 Pfund. Für den Betrug, welcher
Vorkauf beißt, sind vor unserm Richter ein Vfund und 60 Pfen¬
nig zu zalilen. Wenn jemand das voraeschriebene Getreide- oder
Tuchmaß oder das rechte Gewicht verletzt, soll er ein Augsburger
Pfund und 60 Pfennig vor unserem Gericht zahlen. Wenn jemand
einen bis ?um Saus eines unserer Bürger verfolgt und bei der
feindlichen Verfolauna unter das Dach seines Hauses kommt, begeht
?r den Frenel. der Heimsuche aenannt wird, und hat vor unserem
Gerichte 5 Prunk und 60 Auasburaer Pfennia zu zahlen und dem
Hausherrn 5 Vfund. Wenn jemand unbehelligt im freien Besitz
i^aendwelcher Güter durch Jahr und Tag bleibt, wird er, wenn der
Kläaer sich zur selben Zeit mit ihm im Lande oder in der Stadt
aufhielt, "nanaefockten der Besitzer iener Güter bleiben. Wenn
aber der Kläaer seine rechtmäßiae Abwesenheit nachweist, so soll
er zehn Jabre Frist baden, innerhalb deren er fein Recht gericht¬
lich verfolaen kann. Wenn eines andern Mann, er sei frei oder
eiaen. unssrp Stadt betritt und in derselben das Bürgerrecht
erwirbt, so soll er. wenn ibn sein Herr innerhalb eines Jahres
i-echtmäßia zurückfordert, diesem dienen, wie es recht ist. Wenn er
sich aber innerlialb eines Jabrs nicht um ihn kümmert, so soll er
aanz unonaefochten bleiben. Überdies werden wir jedes Testament,
das ein Vüraer der aen. Stadt über seine Güter zu Gunsten feiner
ssrben oder seines Herrn aufrichtet, als aültia und fest betrachten.
Wenn jemand okne Erben stirbt, so geben alle seine Güter außer
den zu seinen Seelenheil vermachten in unseren Besitz über. In
lkrwäauna endlich, daß im flüchtigen Laufe der Zeit die hinfällige
Erinnerung in den Abarund der Vergessenheit gerissen wird, haben
wir vorlieaende Urkunde schreiben und mit unserem Siegel be¬
kräftigen lassen. Geaeben in Insbruke im Jahre des Heils 1239
am 5. Tag vor den Iden des Juni (d. i. 9. Juni), in der 12. In-
diction sd. i. Römerzinszabl 12) in Gegenwart folgender Zeugen:
des Grafen Albert von Tirol. Heinrichs von Ttreitberg (Stritberc),
Ottos non Tchaumberg sScowinberc). Heinrichs von Schlitters
(Sliters). Witelos feines Bruders van Thaur (Tamr), Friedrichs
non Rottenbura sRotinburc). Heinrichs feines Bruders, Verchtolds
Trautson (Trutsun), Ottos Wel. Heinrichs von Gufidaun (Gufdun).
Heinrichs von Matrei. Kunos von Matrei. Ottos feines Bruders
von Thaur und vieler anderer, deren Leben lobenswert und ehr¬
bar ist."

Literatur: Hormavr. Beiträge II. 279. Zoller. Denkwürdigkeiten I. 62.

I. Ravv. „über das vaterländische Statutenwesen" (Veitr. zur Gesch..
Statistik usw.. 3. Bd.. 50 ff. und 119 ff.). — Schwtnd-Dovsch. ..Ausaew. Url.
zur Verfasfungs-Gefch.", Nr. 37. Gauvv. Stadtrechte des MA. II. 253. —
Nischoff. Qsterr. Stadtrechte, S. 46. — Oefele. Gesch. der Grafen von Andechs.
Nr. 666. — Staffier. II. 1. 40. — Jäger. Landständ. Verfassung. I, 640. —
Osl. Frh. v. Schaumberg. Reg. d. fränl. Geschlechts von Tchaumberg. Nr. 26.

O. Stolz. Landesbeschreibung. I. 300 ff. u. 820. — Ders.. Wann ist I.
zur Stadt erhoben worden?" sI. Nachr. 1930. Nr. 288. u. Tirol. An,.). —
Ders., „Was eine 700jähriqe Stadturlunde erzählt" (Alvenheimat. 1939). —
H. Hohenega, „Seit wann ist I. Stadt?« (Tirol. Heimatblätter 1930. 337 ff.).

K. Moeser. Eine Münzstätte der Andechfer zu N. und die Augsburger
Münze in Nordtirol Morsch, u. Mitt. zur Gefch. Tirols. 1907). — Ders..
Stand dem Stadtgerichte N. die hohe Gerichtsbarkeit zu? (I. o. 1919/20). —
Ders.. Zu welchem Zettvunlte erreichte Innsbruck den Stadtcharakter? (Tirol.
Anzeiger, 1931, Nr. 13). — Die Erhebung Is. zur Stadt (I. Nachr.. 1931,
Nr. 9).