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Amtsblatt 1947 Nr. 01 - Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
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Amtsblatt der Vandcobauptstadt I

der Wissenschaft gelöst werden konnte, baute Innöbrnck
das Elektrizitätswerk in Mnhlau. (50 war eines der
crsten in Europa. Zehn Jahre später wurde das Sill-
werk in Angriff genommen. Es war zu seiner Zeit
eines <der größten Elektrizitätswerke Europas. Und
kaum waren die Wunden des ersten Weltkrieges ver¬
narbt, schritt wiederum die Stadt Innsbruck zum Bau
eines der größten Werke seiner Zeit, zum Bau des
Achcnseewerkes.

Jederzeit hat Innsbruck am Pulsschlag Europas
führenden Anteil genommen und es liegt ganz auf der
Lime dieser Entwicklung, wenn unsere Stadt als ein¬
zige Vandeohanptstadt Österreichs schon vor dem Ein¬
marsch der alliierten Truppen seine eigene Regierung
gebildet hatte und nach dem Einmarsch Sitz des fran¬
zösischen Oberkommandos wurde. Es wäre nach alle-
dem geradezu sonderbar, wenn nicht auch in der Ge¬
schickte des Nationalsozialismus die Bedeutung Inns¬
brucks schicksalhaft zum Ausdruck käme. Diese Bedeu¬
tung klingt aus den Vegrüßuugsworten an den fran¬
zösischen Oberkommandicrenden hervor, gls dieser am
18. Juli 19 l."» über unsere Stadt und unser ^'and die
Regierungsgewalt ergriff. Ich sagte damals:

„Herr General! Diese Stadt, in der Sie heute
Ihren Einzug hielten, ist mit der Geschichte der letz¬
ten sieben Jahre, und sohin mit der Weltgeschichte
in besonderer Weise verbunden. Auf dem Boden die¬
ser Stadt machte das ehemalige Österreich seine letzte
Anstrengung im Kampf gegen Hitler-Deutschlaud,
auf dem Boden dieser Stadt wurde die Protlama-
tiou vom 9. März 1938 erlassen, in der das öster¬
reichische Volk zur Volksabstimmung gegen den Na¬
tionalsozialismus aufgerufen wurde. Um diese
Volksabstimmung zu verhindern, die hier in Inns¬
bruck verkündet worden war, marschierte Hitler zwei
Tage später in Österreich ein und trat es zu Boden.
Auf dem Boden dieser Stadt wurde das letzte Ka¬
pitel des Dramas Österreich geschrieben und das
erste Kapitel eines nencn, viel größeren Dramas,
des Dramas Enropa, begonnen."
Wo gibt es eine Stadt in Österreich, die mit solchem
Gewicht auf ihre europäische Bedeutung hinzuweisen
vermag?

Wer immer in unserer Stadt seine Heimat hat, hat
eine .Heimat von besonderer Art und besonderer Be-
deutuug. Dessen müssen wir immer und jederzeit ein¬
gedenk bleiben. Gewiß sind die Zeiten sorgenvoll und
schwer, aber die Zeiten Andreas Hofers waren ebenso
schwer und sind wieder besseren Tagen gewichen. Ge¬
wiß legt der Mangel an Nahrung, Belleidung und
Heizung einen Nebel vor unsere Augen, der Ziel und
Richtung unseres Weges oftmals verdüstern will. Aber
vor '2."> Jahren, eineinhalb Iabre nacb Beendigung des
ersten Weltkrieges, war es noch ärger. Damals steiger¬
ten sich die Hungerrevolten zu Plünderungen an allen
Ecken der Stadt, fleischlose Wochen, Einstellung des
Zugsverkehrcs uud Hungerstreiks waren an der Tages¬
ordnung, und wenn von irgendwoher ein Waggon
Mehl eintraf, wurde dieses Ereignis in allen Tages¬
blättern publiziert.

freilich sind mit dieser Erinnerung vergangener
Tage unsere heutigen Nöte nicht gestillt. Aber ein Trost
mnß es dennoch sein. Es ist eine gnte und beilsame
Eigenschaft der menschlichen Natur, daß das Unange¬

nehme viel leichter nnd schneller aus dem Gedächtnis
schwindet wie das Angenehme, nnd dadnrcb alle Er-
inncrnng verllärt wird. Aber wir dürfen aus dieser
Tugend der Natur kein Vaster machen nnd nicht das
rechte Maß verlieren für das, was sebon aeleistct und
erreicht werden konnte.

Vor zwei Jahren hasteten die Menschcn unserer
Stadt täglich zu den ^uftschutzkelleru und Bunkern,
hörten angstvoll das Heulen der Sireuen, lauschten
auf das Singen der Flugzeugstaffclu, auf das Zische«
der Bomben nnd das donnernde Gedrölm der Erplo-
sionen. Vor eineinhalb Jahren war unser Stadtge¬
biet noch hermetisch abgesperrt, ohne Passierschein
waren nicht einmal die Außenbezirke erreichbar. Es
gab kein Telefon, keine Post, keine Zeitung, keine
Eisenbahn. Vor einem Jähr drohte täglich nnd stünd¬
lich für Zehntallsende die Gefahr der militärischen
Einqnarticrnng und der Verlust vou Wohnung, Hab
und Gut. Und vor einem halben Jahr war noch nicht
abzusehen, wie ohne Katastrophe der Anschluß an die
nenc Ernte gefunden wcrdeu könne.

Noch viele und schwere Sorgen stehen auch in die¬
sem neuen Jahre vor uns. Es ivird noch vielfach
schwerer zu ertragen sciu als bisher. Bei großen
Unglücksfällen flackert der Lebenswille nnd der Sclbst-
erhaltnngstrieb hell ans. Jeder ist vom Geschehnis
tief bewegt nnd will das Seine dazn beitragen,zll hel¬
fen uud zu liudcrn. Erstreckt sich die Not über eine
allzn lange Zeit, so wird das Unglück lästig und lang¬
weilig. Mit einem guten, geduldigen nnd mntigen
Herzen die Zeiten der Prüfling durchzuhalteil, scheint
zll den schwersten Aufgabeu der Meuschheit zu gehören.

Einer unserer großen Österreicher, Adalbert Stif¬
ter, sagt: „Es tnt not, .höheres zu wirken, dem Geiste
Schwung zu geben; denn dieser hält die Staateil lind
dieser hält die Menschheit, sonst vergeht sie in eine
gefütterte Herde, die, wie das alte Rom, 'dem ersten
kräftigen Barbaren anHeim fällt, der sie einzusaugen
unternimmt."

freilich können der Arbeiter, der mit kärglicher
Nahrung seine Pflicht erfüllt, und die abgehärmte,
gehetzte Frau, die den halben Tag unterwegs ist, um
das Wenige, das sie bekommen, für den Haushalt und
die Familie zn beschaffen, nicht immer an die große
Vergangenheit und an die großen Zulunstsaufgabcn
unserer Stadt denken. Auch die Menschen, die an höhe¬
rer Stelle der sozialen Etufeuleiter stehen, werden
durch die ewigen Tücken des Tages leicht verdrossen.

Auch als Bürgermeister mnß man sich mit den täg¬
lichen Plackereien lind den ärgerlichen Auseinander-
setznngcn mit unangenehmen Zeitgenossen mehr be¬
fassen, als für die wirklich großen nnd ziclführenden
Aufgaben förderlich ist. Aber zuweilen gibt es Augen¬
blicke, in denen plötzlich das geheimnisvolle Weben
der ewigen Gesetze sichtbar nnd spürbar wird. Ill den
letzten Tagen fanden in allen städtischen Kindergärten
die üblichen Weihnachtsfeiern statt. Teils schüchtern,
teils neugierig standen die Kleinsten nnserer Stadt
»lit großen Angen vor den simtclnden Kernen und
wälnend sie ibre Vicdchen und Verschell sangen, wäh¬
rend sie, wie es ihnen ^eingeübt worden war, zum
Viedcrtcrt entweder mit den kleinen Händchen klatsch¬
ten, oder mit den Füßchen auf den Boden stampften,