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Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
Nummer 9
Tirol und Vorarlberg, aber auch in Salzburg ein. Diese
Gemeinden besaßen in alten Zeiten im Gegensatz zu
den Gemeinden in den übrigen österreichischen Ländern
weitgehende Rechte der Selbstverwaltung, was schon
Urkunden aus dem 12. Jahrhundert beweisen.
Das Wesen der Gemeindefreiheit in diesen Ländern
kam vor allem darin zum Ausdruck, daß der Gemeinde
das Recht zustand, eine Reihe von Angelegenheiten, die
die bäuerliche Gemeinschaft angingen, selbst zu ordnen
und hiezu die nötigen Maßnahmen zu treffen, insbe¬
sondere des Gemeindeeigentums, Zu verwalten. Den
tirolischen Gemeinden stand weiters in alten Zeiten
eine Reihe von Befugnissen zu, die man heute zur poli¬
tischen Verwaltung zählt, so besonders solche polizei¬
licher Natur. Sie besaßen aber auch schon einen ihnen
vom Staat übertragenen Wirkungskreis, so bei der
Steuereinhebung und dem Waffenaufgebot.
Auch in den tirolischen Gemeinden minderten sich
seit dem 16. Jahrhundert immer mehr die Rechte auf
Selbstverwaltung. Das alte Gemeinderecht sah eine
Reihe voil Beschränkungen des Eigentums zu Gunsten
der Gesamtheit vor, die mit der allmählichen Abnahme
des Gemeinsinns später nicht mehr angenehm waren.
Das Gemeindeeigentum, wie Gemeindewald und Wen¬
den, wurde aufgeteilt, auch kam es immer mehr zu
Eingriffen der Regierung in das Gemeindeleben, auch
in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Das rege Verfas¬
sungsleben der Gemeinde und die Anteilnahme der
Gemeindebürger an den Gemeindeangelegenhciten
wurde stark vermindert, je mehr durch den verstärkten
Absolutismus und Zentralismus in die Selbstverwal¬
tung der Gemeinde eingegriffen wurde.
Es ist mir auch erlaubt, als Bürgermeister der Lan¬
deshauptstadt von Tirol, kurz zur Geschichte der Tiroler
Landeshauptstädte Meran und Innsbruck etwas zu
bemerken:
Von den Donaustädten Regensburg und Passau so¬
wie Wien und Enns abgesehen, ist das Innsbrucker
Stadtrecht das älteste erhaltene des bayrisch-österreichi¬
schen Rechtskreises.
Überdies war es wahrscheinlich auch eine Grundlage
für das Münchner Stadtrecht, von dem aus sich ja wie¬
der Verbindungen zu den sächsischen Stadtrechten Hein¬
richs des Löwen von
Braunschweig,
Lübeck und Schwe¬
rin feststellen lassen. Besonders wertvoll ist es, daß das
Innsbrucker Stadtrecht noch in dem Originale des
Jahres 1239 im Stadtarchiv vorhanden ist. Das Inns-
lnucker Stadtrecht war am 9. Juni 1239 von Herzog
Otto
VIII.
von Andechs-Meranien in Gegenwart einer
großen Reiche angesehener Zeugen verbrieft worden.
Die Rcchtssätze des Privilegs lassen sich daher in drei
Gruppen einteilen:
Zuerst werden handelspolitische Bestimmungen über
d>ie Warenniederlage und die Zollfreiheit festgelegt,
»dann folgen Bestimmungen über die Weidegemein-
schaft, die Richter- und Gerichtsbotenwahl, die Auflage
eäner Steuer und die Pfändung. Für strafrechtliche
Vergehen werden bestimmte Strafsätze aufgestellt. Den
Abschluß bilden privatrechtliche Bestimmungen über
die Ersttzungsfrift, die Erwerbung des Bürgerrechtes
und die letztwilligen Verfügungen.
Für Meran wird das Wort „Eivitas", das heißt
Markt- oder Stadtgemeinde, 1278 erstmals gebraucht.
Die entsprechende Vetitelung für Bozen und In
ist etwa ein halbes Jahrhundert älter.
Der Titel „Stadt" war im Mittelalter von der Er¬
richtung von festen Ringmauern und Stadiloren mit
abhängig. Für Meran sind diese urkundlich um 13W
feststellbar. Als Verthold von Andechs im Jahre 1180
durch Gütcrtausch mit dem Stifte Wilten jene Grund¬
fläche erworben hatte, die die heutige Altstadt Inns¬
bruck ausmacht, um dort einen neuen größeren
Mart!
aufzubauen, war damit eigentlich die Stadt Innsbruck
begründet. Die eigentliche urkundliche Verbriefung
eines Stadtrechtes erst im Jahre 1239 kann uns mög¬
licherweise den Zeitpunkt andeuten, da die Uinmaue-
rung der Stadt so ziemlich vollendet war.
Für Meran erließ der Landesfüist König Heinrich
im Jahre 1317 eine Stadtrechtsordnunss, nach der Bür¬
ger von Meran aus ihrer Mitte vier Männer als eine
Art von Rat für die Verwaltung der Stadt zu erwäh¬
len hatten. Die Stadt Meran erfreute sich damals,
wenn auch unter der Kontrolle des Burggrafen auf
Tirol und des von ihm eingesetzten Richters, einer er¬
heblichen Selbstverwaltung. Ein Bürgermeister, der
von den Bürgern zu wählen ist, wird schon 141."i ein¬
geführt.
In Innsbruck ist der Bestand eines Stadtrates ur¬
kundlich um 1315 nachweisbar, ein Bürgermeister um
1370.
Überblickt man den allgemeinen Zustand des Ge¬
meindewesens zu Beginn des 19. Jahrhunderts, so be¬
merkt man, daß das Selbstbestimmungsrecht der Ge¬
meinde auf ein Minimum reduziert war, die Beurtei¬
lung dessen, was der Gemeinde nützte oder schadete,
weniger ihr als dem Grundherrn öder den Regierungs¬
behörden anheimgestellt war und die Gemeinde nicht
nur kontrolliert, sondern auch in allem und jedem
reglementiert wurde. Für ein Wiedererwachen des Ge¬
meinsinns, der aus dem Kreis der bloß persönlichen
Interessen hervortretend, sich die Förderung gemein¬
samer Zwecke der Gemeinde angelegen sein läßt, uun
wenig Raum mehr gegeben.
Mit diesen Mängeln und Gebrechen trat «das Ge-
meindewesen'ind'as Revolutionsjahr 1818, dessen Ten¬
denzen auch das Gemeindeleben aus dem Geleise brach¬
ten, um vielfach mit einem Ruck an Stelle der früheren
Beschränkungen die ungebundene Willtür, an Stelle
der früheren Unselbständigkeit schrankenloses Selbst¬
regiment zu setzen.
In den Strömungen des angehenden 18. und dl>> be¬
ginnenden 19. Jahrhunderts setzte sich immer mehr die
Erkenntnis durch, daß die Gemeinden Fundamente des
Staates, Grundlage staatlicher Ordnung
sowie
mirt-
lschaftlicher und kultureller Entfaltung sind.
Dieser Erkenntnis trugen die durch die
R>.'uo!>iiio»
des Jahres 1848 veraulaßten Verfassungen Rechnung,
sie brachten den Gemeinden endlich ein neues Recht, so
daß der mehr oder weniger gesetzliche Zustand ln'ieili^!
wurde.
Bereits die erste österreichische Verfassung lwm
2.'). April 1818. die sogenannt» Pillersdors'sche Versas
sung,
befaßte sich mit den Gemeinden, sie beschräiitle
sich allerdings auf die Anordnung, daß die Gemeinde¬
verfassungen nach dem Grundsatz zu ordnen sind, daß
in denselben die Interessen der Gemeinde und ihrer
Glieder ebenfalls vertreten werden.
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