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Amtsblatt 1959 Nr. 12 - Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
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Seite 4

Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck

Nummer 12

Aufgabe. Erst im Jahre 1<W.'l wurden die Gemeinden
Träger der Fürsorge für die Hilfsbedürftigen. Run
waren aber viele Gemeinden zu schwach, auf sich allein
gestellt diese große Aufgabe zu erfüllen, so daß sie
ihren Verpflichtungen oft nur ungenügend nnchkom-
men konnten. Man erinnere sich daran, daß die heule
als selbstverständlich angesehenen Einrichtungen der
Altersfürsorge, der Invaliden-und Unfallversicherung,
der Arbeitslosenversicherung usw. unbekannt waren.
Wie oft kam es vor, daß Menschen, nachdem sie arbeits¬
unfähig wurden und nicht mehr in der Lage waren,
ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, in ihren alten
Tagen der Fürsorge der Gemeinde überlassen waren,
die Gemeinde aber nicht mehr als das Notdürftigste
zu gebeu hatte. Auch Innsbruck war damals wohl keine
Ausnahme.

Sieberer, dem die Unterbringung dieser armen alten
Menschen im Armenhaus am Marktgraben hinlänglich
bekannt war, beschloß, inzwischen selbst Greis ge¬
worden, im Jahre 190? auch den alten Mitbürgern
der Stadt Innsbruck eine Heimstätte zu schaffen, die
anläßlich des Jubiläumsjahres 1909 seiner Bestim¬
mung übergeben werden sollte.

Hier in der Ing.-Etzel-Straße, der damaligen Via¬
duktstraße, wo sich ein großer Park befand, wurde das
Altersheim errichtet, das damals durch seine moderne
Form imposant wirkte, aber auch hinsichtlich der Aus¬
gestaltung der Zeit vorauseilte. Die Pläne für dieses
Heim wnrden vom Stadtbauamt ausgearbeitet, aber
wesentlich beeinflußt durch den Stifter, der sich streng
an seinen Grundsatz hielt: Wer zahlt, schafft an. Die
Grundsteinlegung fand am 23. April 1908 im kleinen
Kreise statt. Zur großen üandesfeier des Jahres 1909
war der Van fertiggestellt. Entsprechend dem Prunk
der Jahrhundertfeier wurde die Fertigstellung des
Heimes im festlichen Nahmen gefeiert. Der greise Kai¬
ser selbst nahm am Nachmittag des 29. August 1909,
anschließend an den großen Festzug, begleitet vom
Thronfolger, in Anwesenheit des gesamten Gemcinde-
rates und zahlreicher Würdenträger, die Schlußstein-
legung des Hauses vor, das seinen Namen, nämlich
Kaiser-Franz-Iosef-Jubiläumsgreisenasyl trug.

Noch im gleichen Jahr hat Sieberer dieses Heim der
Stadt geschenkt und zur Erhaltung dieses Bauwerkes
einen namhaften Betrag dem Innsbrucker Bürgermei¬
ster übergeben. Nach dem Willen des Stifters konn¬
ten an seinem Geburtstag, den 11. Oktober 1909, die
ersten alten Mitbürger in aller Stille ihr neues schö¬
nes Heim beziehen.

Sieberer wurde am 4. November 1909 Ehrenbürger
unserer Stadt nnd gleichzeitig in den Freiherrenstand
erhoben.

Das für die damaligen Verhältnisse gewaltige Bau¬
werk war nach modernen Gesichtspunkten errichtet und
großzügig geplant. Es sei nur daran erinnert, daß ab¬
weichend von ähnlichen Einrichtungen der damali¬
gen Zeit das Heim keine allgemeinen Schlafsäle mehr
kannte, sondern nur Zimmer für höchstens zwei Perso¬
nen. Auch wurde erstmals für Ehepaare uorgesorgt
uud ihnen besondere Räume gewidmet.

Nunmehr sind seit der Inbetriebnahme dieses Hei¬
mes 7)0 Jahre vergangen. Seither ist unsere Heimal¬
stadt wesentlich größer geworden, so daß mil dem sei¬
nerzeit so großzügig geplanten Vauwert nichi mclir
das Auslangen gefunden werden kann. Dazu tomnit
noch, daß in den letzten .">0 Jahren das Dnrchschnills-
alter der Menschen um 20 bis .'l0 Jahre gestiegen ist.
Die Zahl der alten Menschen, auch der zu betreuenden,
ist dadurch bedeutend angewachsen. Auch haben sich im
vergangenen halben Jahrhundert, insbesondere in den
beiden letzten Jahrzehnten, neue Ertemi tnisse über
die Form der Betreuung alter Mensche» gebildet.
Während früher — ich habe es schon einmal gesagt
die Betreuung in den Altersheimen nur als notdürf¬
tige Versorgung armer Menschen aufgefaßt wurde,
die wirtschaftlich Bessergestellten haben ja die Alters¬
heime nicht in Anspruch genommen, sonder» wurden
von und in den Familien versorgt, Hal sich heute die
Erkenntnis herausgebildet, daß die Hauptbedürfnisse
der alten Menschen die wirtschaftliche Sicherheit, gute
Wohnungsvcrhältnisse und Schutz vor Vereinsamung
sind. Diesen Bedürfnissen soll in den Heimen für
betagte Mitbürger Nechuung getragen werden. Auch
in einem Hoim soll sich der alte Mensch woblfiihlen
und sich in diesem eine intime Sphäre schaffen können,
in der er sich frei bewegen kann, nur soweit beschränkt,
als dies im Interesse der Mitbewohner unbedingt not¬
wendig ist.

Leider ist die Zeit vorbei, in der sich Mäzene des
Wohles ihres Mitbürgers angenommen haben, heute
ist an ihre Stelle die öffentliche Hand, vor allem die
Gemeinde, getreten.

Getragen von der Sorge nm unsere allen Mitbürger
und aus dem Bestreben heraus, ähnlich wie vor fünf¬
zig Jahren anläßlich der 100-Iahr-Feier der Freiheits¬
kämpfe von 1A09, auch anläßlich der1l)0-Iahr-Feier ein
bleibendes Wert zu schaffen, hat der Gemeinderat be¬
schlossen, eine neue Heimstätte für unsere betagten
Mitbürger zu erstellen. Dieser Bau konnte bereits in
Angriff genommen werden, die Gemeinde wird sich
bemühen, soweit es ihre Mittel gestatten, dieses Wert
möglichst rasch zu vollenden, um ein dringendes Be¬
dürfnis zu erfüllen.

Trotz der Neubauten wird die Stadt aber dieses
Heim Sieberers nicht entbehren können und alles
daransetzen müssen, es weiter auszugestalten und zu
verschönen, oenn schließlich bietet es immer wieder
vielen ein Heim für ihren Lebensabend.

Diese Feierstunde soll nicht vorübergehen, ohne anch
derjenigen zu gedenken, die oft Jahre hindurch ihre
ganze Arbeitskraft, ihre Mühen nnd Sorgen dem
Wohle der hier untergebrachten Mitbürger gewidmet
haben. Ihnen sei für ihre aufopfernde Tätigkeit herz¬
lich gedankt. Dieser Dank gilt insbesondere der Frau
Oberin der Kongregation der Barmherzigen Schwe¬
stern und allen ihren Mitarbeitern, gei st lichen und
weltlichen Standes.

Möge dieses Haus, entsprechend dem Willen seines
Stifters, noch viele Jahre ein schönes Heim für
betagten Mitbürger bleiben!"

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