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Amtsblatt 1967 Nr. 04 - Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
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In memoriam Prof. Ludwig v. Ficker

Geniale Denker sind in allen Ländern spärlich ver¬
treten. Tirol besaß in Prof. Ludwig v. Ficker einen
solchen, beinahe von einmaliger Artung. Gütig und
bescheiden, kaum übermäßig mit irdischen Gütern ge¬
segnet, wählte er den steilen und einsamen Pfad eines
Kulturphilosophen. Allmählich fanden sich Geistes¬
freunde, wenige, aber treue, wie Dallago, Leitgeb und
Sander. Die Gründung des Brenner-Verlages war
ein Wagnis, die Zeitschrift „Der Brenner" galt nur
für einen engen Kreis. Doch das Licht auf dem Sche-
me'l wurde Heller und Heller. Fickers Name und Werk
gewannen an Ansehen und Geltung in allen mittel¬
europäischen Kulturstaaten trotz aller Ungunst der
Zeiten. Ehrungen und Auszeichnungen verklärten sei¬
nen Lebensabend. Ms zu Ende in geistiger Regsam¬
keit schaffend, erreichte er schmerzlos jenes ferne Ziel,
das er gesucht und dem er unentwegt gedient. Als
Ficker am Karfreitag Zur letzten Ruhe gebettet wurde,
war an ihm der Vers aus dem Gedichte „Karfreitag"
seines Freundes Leitgeb wahr geworden! „Frei ist
das Herz des Fremdlings dieser Welt."

Prof. Ludwig v. Ficker wurde im Friedhof von
Mühlau neben dem von ihm so verehrten Dichter
Georg Trakl beigesetzt. Zur Verabschiedung hatte sich
nicht allein die gesamte Prominenz der Landesregie¬
rung und Stadtverwaltung, der Kirche und Universi¬
tät eingefunden, sondern auch Vertreter des Vundes-
ministeriums für Unterricht, der Salzburger Landes¬
regierung wie der Wiener Kulturwelt. Dem Wunsche
des Verewigten entsprechend, hielt einzig Prof. Dok¬
tor Ignaz Zangerle alö langjähriger Freund und
Mitarbeiter Ludwig v. Fickers folgende Gedenkrede:

Verehrte Trauergemeinde! Bald ist es 42 Jahre
her, daß Ludwig von Ficker genau an dieser SteNe
zum zweiten Male tiefbewcgien Abschied nahm vom
Dichter Georg Tratl. dessen Gebeine er von Kratau
nach Innsbruck überführen hatte lassen. Und schon
sind wieder 15 Jahre vergangen, daß er — dort drü¬
ben — dem Dichter Josef Leitgeb die Grabrede hielt
— ebenfalls an einem Karfreitag und zur selben
Stunde. Nun sind fiir uno. seine Freunde, Zeit und
Stunde gekommen, dein bereits ins Sprachlose Ent¬
rückten einen Abfchiedögllch nachzurufen. Weil es der
erklärte Wille des Verstorbenen war. bei aller Dank¬
barkeit für die ihm in seiner letzten Lebenszeit erwie¬
senen Ehrungen von offiziellen Grabreden abzusehen,
möchte ich, der durch viele Jahre das einzigartige
Glück seiner Freundschaft genießen durfte, versuchen,
das unwiederbringlich Einmalige dieser Geisteser¬

scheinung Ihnen allen, die ihn gekannt haben, heraus¬
zurufen.

Wer war dieser stille Mann, den erst nach Voll¬
endung seines 70. Lebensjahres ein später Ruhm ein¬
zuholen begann? — Schlicht, unauffällig hat er hier
in Mühlau gelebt, aufopfernd unterstützt von seiner
Frau — sie war ihm im Tode vorausgegangen — und
mit all seinen Lieben unter dem hilfreichen Schutz von
drei Generationen der Familie Rauch. Als er nach
dem ersten Weltkrieg in der Inflation den Rest seines
Vermögens verloren hatte, fand er sich ohne Murren
mit der Notwendigkeit ab, sein und seiner Familie
Brot als Korrektor zuerst bei verschiedenen Innsbruk-
ker Zeitungen, dann bei der Verlagsanstalt Tyrolia
verdienen zu müssen. In den dreißiger Jahren blieb
auch Ludwig von Ficker das Los einer längeren Ar¬
beitslosigkeit nicht erspart. Daß er von seinen dama¬
ligen Arbeitskollegen innerlich angenommen wurde,
hat er noch in späten Jahren dankbar anerkannt. Die
einfachen Menschen, in denen er ,das Volk' im Sinne
Doftojewskys wiedererkannte, haben ihn, wie wir aus
vielen Zeugnissen wissen, immer geachtet und geliebt.
Er war von mitleidender Liebe erfüllt für die Im-

für die von Verzweiflung

Angefochtenen, für die von geistiger Verftörung Be¬
drohten, überhaupt für alle ausgesetzten Existenzen.
Ohne Voreingenommenheit nahm er in jedem Men¬
schen das Ernstgemeinte selber ernst.

Fragen wir ein zweites Mal! Welche Bestimmung
trat im Wirken dieses außerordentlichen Mannes zu¬
tage? Zeit seines Lebens war Ludwig von Ficker zu¬
tiefst davon überzeugt, daß die Dichtung imstande sei,
nicht nur das Existenzgefühl einer Epoche zu artikulie¬
ren, sondern joden Menschen, der sich das innere Ohr
und das innere Auge für deren eigentümliche Offen¬
barungstraft bewahrt hatte, in Kommunitation zu
bringen mit verschlüsselten Botschaften aus einer tie¬
feren Wirklichkeit. Als unverrückbarer Maßstab für
die Echtheit eines dichterischen Wertes galt ihm die
Ausdrnck^innchtigkcit der Sprache. Noch im hohen
Alter war dieser sonst so überaus gütige Mann in
Dingen der Sprache von unbeugsamer Strenge. Dazu
kam eine untrügliche Witterung für Menschen von
dichterischen und denkerischen Geistesgaben. Er hat
diesen seinen Wahrblick nicht nur an Dichtern wie
Georg Trall, Anton Santer. Josef Leitgeb, Josef
Georg Oberkofler, Daniel Sailer, Friedrich Punt,
nicht nur an Denkern wie Ferdinand Ebner, Theodor
Haecker, Hans Kestranek, Carl Dallago bewährt, son-