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Tiroler Fremdenblatt - Organ zur Hebung des Fremdenverkehrs in Tirol... (1888)
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milie Rabatscher kam, die nachher im Jahre 1793
das gesammte Anwesen an die Eheleute Michael
und Elisabeth Fulterer verkaufte. Von deren Nach¬
kommen Florian Fulterer endlich hat der heutige
Besitzer, Antiquar Alois Ueberbacher in Bozen, am
4. Dezember 1886 den Adelsitz Zimmerlehen mit
allen Gebäuden, Aeckern, Wiesen und Wäldern käuflich
erworben.

Gehen wir im erwähnten Hauptgebäude den
gewölbten Gang entlang, so führt uns der Weg
in die große Heirenstube mit der daranstoßenden
Jungfrauen-Kammer, in welcher Fresken und Wand¬
getäfel, die Echubfenster mit Butzenscheiben, ein reich-
ornamentirter Kachelofen u. s. w. auf ein Alter von
mehreren hundert Jahren hindeutend, worüber dann
die Jahreszahl 1565 über einer Thür näheren Auf¬
schluß gibt. Die ehemalige Herrschaftstüche befindet
sich noch in ziemlich allbelassenem Zustande rechts vom
Gange, so daß die Fenster nebst jenen zweier eben¬
falls getäfelten Zimnnr auf dem Bilde sichtbar sind,
mährend die Seiienfenster der Herreustube auf der
Abbildung durch das Blätterwerk vorstehender Bäume
verdeckt werden. Wenn wir noch die gegenüber der
Heirenstube gelegene Bauernstube mit Küche u. f. w.
als Wohnung der jetzt auf dem Hofe hausenden
Bauernfamilie, sowie ferneis die weiten Gewölbe
und Magazine im Erdgeschoß erwähnen, so wären
die Räumlichkeiten des Herrenhauses sämmtlich ver¬
zeichnet. Es kommt dann weiter in Betracht das
landwiithschaflliche Gebäude und das zweickslöckige
Schenkenberghaus, das in jedem Stockwerke zwei
Zimmer nebst Küche enthält. Einen Hauptanziet>
ungspunkt sür fremde Besucher bildete von jeher
das vierte Gebäude, nämlich der auf dem Bilde
scharf hervortretende Thurmbau, von welchem jedoch
gerade der schlanke, runde Thurm, weil rückwärts
am Gebäude angebracht, leider gar nicht sichtbar ist.
Der Haupttheil dieses Gebäudes enthalt im Erdge¬
schoß die Schloßkapelle, in welcher sich bis vor Kurzem
der berühmte aus 36 Tafeln bestehende, und das
Erlösungsmerk darstellende Email-Altar befand, der
jedoch vom nunmehrigen Besitzer aus der Kapelle
weggenommen wurde. Man strengte zwar von Seite
der Stiftungsbehörde einen Prozeß gegen die Weg¬
nahme des aus der zweiten Hälfte des 16. Jahr¬
hunderts stammenden Bilderaltares an, doch wurde
der Rechtsstreit schließlich vom obersten Gerichtshof
zu Gunsten des Besitzers entschieden mit der Be¬
gründung, daß die Kapelle sammt Inhalt kein öffent¬
liches Gotteshaus, sondern lediglich eine dem Ansitz
bezw. dessen jeweiligen Besitzer gehörige Privatkapelle
sei, bezüglich deren derselbe keine andere Verpflichtung
habe, als dafür Sorge zu tragen, daß die für die
Kapelle gemachte Khüepach'sche Messenstiftung einge¬
halten meide, was den jeweiligen Besitzer lediglich
zur Bezahlung von jährlich 14 fl. 30 kr. verpflichtet.
Die vom herzoglichen Rath und Viertelmeister Fer¬
dinand von Khüepach zu Ried und Zimmerlehen laut
«in« Inschrift über dem Eingang im Jahre 1587
erbaute Kapelle zur hl. Dreifaltigkeit enthält auch
abgesehen von den erwähnten kostbaren Altarbildern
noch mancherlei Sehensmürdigkeiteil, so z. N. einen
Kelch in schönster gothischer Form mit später auf¬
gesetztem Wappenschild der Herren von Khüevach
und der Jahreszahl 1607, sowie eine Orgel in un¬
garischem Eschenstader montirt miteingelegtem Wappen
Neben der Kapelle und Sakristei führt eine kleine
Pforte in den zierlichen runden Thurm und über
eine steinerne Wendeltreppe empor zunächst in das
erste Stockwerk, das gerade über der Kapelle und
Sakristei zwei Gelasse enthält, welche mit noch gut
erhaltenen Wappen und originellen Freskogemälden
geziert sind. Letztere stellen allerlei Iagdscenen dar,
Affenjagden, Gemspürsch, Elefanten- und Löwenjagd
und, wegen der naiven Auffassung besonders interessant,
eine Wallsischjagd, Tiger- und Krokodiljagd, wobei
der ehrsame Künstler die Tiger in wie Sperlinge
dünnen Netzen fangen und die Krokodile mit Schwein¬
chen als Köder den Jägern vor die Spieße locken
läßt, während zur Erlegung des, augenfcheinlich einer
alten Darstellung der biblischen Ionas-Scene ent¬
lehnten. Walisisches eine ganze Völkerwanderung auf
dem Iagdschauplatze erscheint.

Der Plafond präsentirt sich reich bemalt mit
Grotesken nach der Florentiner Schule aus dem
Jahrhundert, im Gegensatz zum zweiten

Stockwerk, wo ein Holz-Plafond mit sehr schönen
Renaissance Ornamenten in der Manier von Flötner
das Auge auf sich zieht. Noch höher hinauf führt
die Thurmtreppe in den luftigen Dachraum, wo aus
dem auf unserem Bilde wie angeklebt erscheinenden
kleinen Seitenlhürmchen seit Jahrhunderten die zwei
Glocken ihre hellklingenden Grüße hinaussenden über
die liebliche, stillfriedlich sich ausbreitende Landschaft,

Damit mären nun die Räumlichkeiten des Aw
sitzes kurz verzeichnet, wobei jedoch bemerkt werden
muß, daß dieselben im Laufe der Jahrhunderte aller¬
dings mehr oder minder unter dem Zahn der Zeit
gelitten haben, was aber durchaus nicht ausschließt,
daß die Wohnräume im Herrenhause und im Thurm-
bau mit verhältnißmäßig geringen Kosten wieder
sehr mohnlich hergerichtet werden tonnten; in weniger
gutem Bauzuftande befindet sich blos das Schenken¬
berg-Haus, wählend das Wirthschaftsgebauoe erst
vor wenigen Jahren umgebaut wurde. Zimmerlehen
liehe sich also (unbeschadet seiner durch 41 Joch
Mund bedingten Bedeutung als Bauerngut) leicht
zu einem sehr schönen, wohnlichen Sommersitze ein¬
richten und würde für diesen Zweck auch wie nicht
bald ein Punkt in der Runde sich eignen. Frei und
aussichtreich gelegen ist der Ansitz nur wenige
Minuten vom Kirchdorf« uud nicht weiter als etwa
12/4 Stundeil von der Bahnstation Blumau ent¬
fernt, während der Weg zur Haltestelle Steeg im
Eisackihal gar blos 1'/^ Stunde beträgt. Aus den
Wäldern ringsum am Gebirge weht eine herrliche,
erfrischende Luft über die Wlesen und Weiden und
Berg uud Thal in reizender Abwechslung laden den
Naturfreund zu mancherlei Ausflügen ein, sowie nicht
minder dem Maler, dem Botaniker, Mineralogen uild
dem Geschichtsforscher in der Gegend sehr reichlich
Gelegenheit sich bietet zu allerlei Studien.

In 4 bis 5 Stunden ersteigt man von Völs
aus den Schlern, wegen seiner herrlichen Aussicht
bekanntlich der „Tiroler Rigi" genannt, Kastelruth,
der Hauptort des ganzen Mittelgebirges, ist auf
lieblichen Wald- und Wtesenwegen in 2'/, Stunden
zu erreichen, unterwegs liegt oben im grünen Forst
die Schluhruine HaueHftem, wo der Tiroler Minne¬
sänger Oswald von Wolkensteiu gestorben, und weiter
das als Sommerfrischler-Kolonie bekannte Dörflein
Seis, von wo der Weg waldeinwärts führt zum
Wilobad Ratzes mit seinen rühmlichst bekannten
Heilwassern und Backhendeln. — Ader nicht so weit
braucht man zu wandern, um in stiller Waldeinsam¬
keit sich zu ergehen, bieten ja doch die kleinen Seen,
die Weiher gleich oberhalb Zimmcrlehen, hiezu
prächtige Gelegenheit. Feierliche Stille herrscht
um die glänzeudeu Wasserspiegel, ringsum zittern
Binsen im leichten Winde und zahllose Wasserrosen
breiten sich weithin über die glatte Fläche. Hohe
Fichten und Föhren umgrenzen dicht die Ufer und
lassen dem Auge den Blick nur frei hinauf zum
blauen Himmel oder zwischen den Baumstämmen
hin in den schließlich in sich selbst verschwindenden
Wald. Kaum ei» Vöglein singt in den Zweigen,
der Schritt des Wanderers bleibt unhörbar in dem
teppichweichen Moose — fürwahr ein Gebiet, wie
geschaffen zum Tummelplatz von Kobolden, Wald¬
feen und anderem Geisterspuck, und thalsächlich fehlt
dem Weiherwalde auch diese Beigabe nicht, denn
knapp hinter dem zweiten Teiche befindet sich der
Hexenstein", ein beim Niederstürzen aus den Schlern-
wänden so eigenlhümlich gespaltener Felsblock, daß
er null beinahe einer Riesen-Kanzel gleicht, mit
schmalem Eingang und einem allerlei Deutungen
zulassenden Steinschemel in der Mitte. Darüber
breiten die dichtästigen Waldbäume baldachinahnlich
ihre Kronen. An diesem Steine halten nach dem
Volksglauben die vom Schlern niedergefahrenen
Hexen ihre nächtlichen Versammlungen ab und
machen das Wetter für die umliegenden Gegenden,
indem sie, je nachdem, für ein schönes Wetter in
der einen Weiherecke zart und fein über das Wasser
streichen, in der andern durch leichte Bewegung der
Wellen „Regen" machen oder aber ein schweres
Donnerwetter über das ganze Schieingebiet herab-
zaubern, indem sie ringsum das Wasser in wild-
schäumende Bewegung setzen. Was die Schlernhexen
hier sonst noch alles für Spuckgeschichten treiben,
darüber konnte der alte Bauersmann, der über die
Wetterhexerei so genau Bescheid wußte, leider keine

Nliskimft geben; er meinte, in dieser Hinsicht müsse
man schon ältere Leute fragen, er sei noch zu jung
und zähle „erst" etwas über 70 Jahre! Fürwahr,
eine gesunde Gegend, wo „Siebziger" noch zu den
Jungen zählen!

Meim Jahreswechsel.

Vom Herausgeber.

Wmn das alte und neue Jahr einander zum
Gruß und Abschied die Hand reichen, geht wohl
auch jeoer Mensch im Stillen mit sich zu Rathe,
was da^ abgelaufene Jahr gebracht und nicht ge¬
bracht, was das neue bringen und nicht bringen
wird- So viele Wünsche, Hoffnungen und kühne
Gedanken allei Art werden Jahr für Jahr in jedem
Heizen rege, und so wenig nur reifen zur Elllung,
zur Vollendung heran. Und während wir so, ein
Jeder für sich und Alle insgesammt, von Jahr zu
Jahr wünschen, hoffen und Pläne schmieden, merken
wir's kaum, wie die Zeit uns unter den Fingern
verrinnt, bis wohl unerwünscht und unverhofft und
«»geplant für Jeden die große Abrechnung heran¬
kommt, da die Summe unseres Daseins und die
Summe unseres Wirkens gegenüber gestellt und die
Bilanz des gesammleu Lebens gezogen wird. Glück¬
lich, wer da von sich sagen mag, daß er diese Nelt
mit ruhigem Gemüthe verlasse. Aber wenn es wirk¬
lich Glückliche dieser Art gibt, so ist's doch gewiß,
daß ihrer herzlich wenige sind.

Darin liegt eine ernste Mahnung. Ein jeder
Tag, sagt Goethe, ist ein Gefäß, in das sich viel
hineinthun läßt, wenn man es wirklich fülle» will.
Auch aus dieser Erkenntniß fällt ein Strahl auf die
soziale Frage, die unsere Zeit bewegt und die tiefsten
Tiefen der Menschennatur aufregt. Aber auch hier
wie überall lautet die Löiung des Rälhsels: Selbst¬
hilfe. Nichts werden mir im Ganzen und Großen
ändern und bessern, wofern nicht der Einzelne, Jeder
ohne Ausnahme, sich ernstlich mit dem Streben er¬
füllt, ein Anderer und Besserer zu meiden. Es ist
uicht genug, daß er erwerbe und genieße, was er
erwarben. Dulch Erwerb und Genuß hindurch u .e
darüber hinaus muß das stete Bestreben ^ ü,
unsere Natur zu veredeln, sie mit sittlichem ^
zu füllen und, was uns an Bildung und )
verfagt und verschlossen bleibt, wenigstens de>>^ ^ <
Möglichkeit zu erschließen, die nach uns kommen
werden, unseren Kindern, der Menschheit der Zukunft.

Freilich dieseZutunft erfcheint dem Zeitgeschlechte
vorerst in wenig rosigem Lichte und fast möchte man
an der Möglichkeit „besserer künftiger Tage" ver¬
zweifeln, wenn man sieht wie das Denken und
Schaffen der Staatsmänner nicht auf die Fortbildung
und Veredlung der Nationen, sondern einzig auf die
Bildung neuer Regimenter und Verbesserung der
Waffen gerichtet ist. Schon vor einem Jahrzehnt
bezeichnete man Europa als ein befestigtes Lager
und erklärte, die alle Welt könne diese Rüstung
nicht mehr lange tragen, sie müsse unter derselben
zusammenbrechen Heute wären wir glücklich, wenn
wir zu den Zuständen des Jahres 1878 zurückkehren
könnten, denn was uns damals schwer erschien, jetzt
würden wir es als eine beglückende Erleichterung
hochaufathmend mit Jubel begrüßen.

Doch scheint es uns, daß mir nun am Kul¬
minationspunkt des Könnens angelangt sind. Wir
sehen das moderne Wunder wie wieder und immer
wieder neue Armeen aus der Erde gestampft werden,
aber den zweiten Theil dieses Wunders, wie diese
Armeen erhalten werden sollen, fangen die Staats¬
männer an schuldig zu bleiben. Das muß zu einer
Katastrophe führen, entweder zu einer kriegerischen
oder sozialen. Alle Nationen in Europa winden
sich krampfhaft unter dem furchtbaren Alp, der auf
ihnen liegt und sie wund drückt, alle schreien nach
Erlösung und Befreiung.

Wird uns das neue Jahr diese Erlösung bringen?
Mit blutiger Flammenschrift scheint es seine Zahlen
in die Geschichte eingraben zu wollen, ach und selbst
dies erscheint fast als eine Erlösung Denn ob es
auch furchtbar und niederschmetternd' klingen mag,
für Millionen und aber Millionen ist es unumstö߬
liche Thatfache : schlechter und trostloser als
die Gegenwart kann die Zukunft fast
nicht mehr weiden!