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Tiroler Fremdenblatt - Organ zur Hebung des Fremdenverkehrs in Tirol... (1888)
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Zer Aufstand in Mrol

im Jahre 1809

n R. B.
(Fortsetzung.)

Die Sonne war über die östlichen Berghohen
des Passeyer Thales gestiegen, und riesige Nebel¬
bilder umzogen die beleuchteten Kuppen der Berge
und Ferner im Osten; noch ruhte tiefer Frieden auf
dem einzelnen Gehöfte im Thalgrunde. Der Platz,
auf dem das Haus mit seinen Nebengebäuden und
seinem Gärtchen steht, gleicht einer Oase in der
Wüste. Es ist durch eine Mauer vor den ver¬
heerenden Fluthen des Passerbachs geschützt. Freund¬
lich blickten im Spätherbst des Jahres 1808, über
die bemooste Gartenmauer einige Bäumchen, die
ihr schon röthlich werdendes Laub noch nicht ab¬
geworfen hatten. Das Gehöfte bestand aus einem
Hauptgebäude, das außer dem Unterbau noch zwei
Stockwerk enthielt. Niedrige Stallgebäube an beiden
Seiten umgaben zwei schmale Höfe. Die Vorder-
fronte des Hauses war dem Wege und der Passer
zugewendet, und bildete zugleich die Giebelseite eines
mach Tirolerart sehr flachliegenden und mit großen
Steinen beschwerten Daches. Vorn der Eingang in
den dunklen Unterbau, der zugleich die große Gast¬
stube, Küche und andere Witthschaftsgelatze enthielt,
war durch einen massiven Vorbau geschützt, welcher
von vorn und an der rechten Seite, den gewölbten
Eingang zur Thüre enthielt. Auf der linken Seite
führte eine Freitreppe auf die über diesem Vorbau
belegen« Gallerie, die aber nicht vor die ganze Fronte
des Hauses hinlief, sondern eher einem geräumigen
Balkon mit einem künstlich geschnitzten und bunt¬
bemalten hölzernen Geländer glich. Van hier aus
betrat man den Söller. Uebei dieser Gallerie lag
noch eine Zweite, von gleicher Größe, z« welcher
aus dem obern Stockwerk der Zugang führte. Ein
leichtes Schutzdach gab diesem heitern, luftigen Plätzchen
Schallen und Schutz gegen Regen; denn das Dach
selbst war nicht nach Schweizerart weit übergebaut.
Auch an der rechten Seite des Hauses fand sich eine
ähnliche, doch längere Gallerie, die mehrere Kammern
und kleinere Gemächer des «bern Stockwerts mit
einander in Verbindung setzte. Die durch das Ge¬
mäuer führenden Fenster waren klein und unregel-
mäßig vertheilt; noch mehr aber ward jede Eintönig¬
keil des verwitterten Gemäuers aufgehoben durch
einen seltsamen Ausbau, der wie ein steinernes
Schilderhäuschen mi der Vorderseite des Eck¬
zimmers am obersten Stockwerk angebracht war, als
sollte es ein Warttrmchen sein, von welchem aus
der rauhe Pfad Thal auf- und niederwärts beobachtet
weiden konnte.

Das war Hofers Wirthshaus am Sand. Von
hier aus öffnet sich aber das Thal und gewinnt für
das freundliche Genrebild dieser Tiroler Alpen-,
mohnung einen mildern Hintergrund, der jedoch das
Gemüth mit dem Schauer des Erhabenen durchdringt.
Dort, von einer Anhöhe jenseits der Passer
herab, schaut versöhnend, wie ein frommer Sinn,
ein einzeln stehendes Kirchlein herab in das öde
Geröll des Passergrundes. Es gehört zu dem noch
weiter hinauf belegenen und von hier aus nicht
sichtbaren Kloster und Gerichtsdörfchen Sanct Leon-
hardt. Hinter dem Kirchlein erheben sich Berge
über Berge, aber mit weichen gerundeten Kuppen.
Noch höher darüber hinaus, nach der nordöstlichen
Gegend zu, steigen die himmelhohen Ferner des
rauhen Oetzthales und des in den ewigen Eisregionen
belegenen Fenderthales empor. Sie waren mit frisch
gefallenem Schnee bedeckt und blitzten hell am tief¬
blauen Himmel. Rechts mehr im Osten sieht man
das hohe Joch des Jausen*) mit den Ruinen der
alten Iaufenburg. Darüber führt die Saumer-
straße**) nach Sterzing und Innsbruck hin.

Es war ein duftiges Gemälde mit großen
Schattenpartien und herrlichen Lichtreflexen, dessen
Vordergrund jetzt ansing sich zu beleben.

Zwei Mägde kamen aus dem Hause und knieten
an, Passerbach nieder, der hier zwischen Granitblöcken
vorüber rauschte; sie spülten Wäsche ab. Einige

*) Der schon in der Römerzeit gefürchtete
mit einem altrömischen Cajtel, üie Illufenburg genannt,

**) Säumer oder Samer heißen die Treiber von Pack-
thiereu (Saumrossen) auf unfahrbann Bergstraßen.

Kühe traten mit dem Glockengeläut aus dem Ge¬
höfte ud langhaarige Ziegen sprangen voraus. Nun
blieben sie stehen und suchten die letzlen Grashälmchen
zwischen dem Gestein auf dem Vorplatz. Da öffnete
sich die andere Hoflhür und ein Knecht führte ein
munteres, schwarzes Ruß vor, das klein, aber ge¬
drungen und von starkem Knochenbau war. Es schien
zu einer weitern Reise gerüstet zu sein, denn es war
gesattelt und trug den leinenen Reisesack hinter dem
Sattel, Vom fernen Küchlein herüber schallte
das Glöcklein zur Frühmesse, Der Knecht und die
Mägde bekreuzigten sich. Jener nahm den spitzen
Tirolerhut ab, diese murmelten ein ^,ve Naria.

Das Glocklein schwieg Jetzt erschien auf der
ersten Gallerie ein junges Mädchen und lehnte sich
mit untergeschlagenen Armen auf die Brüstung

Fremd war sie hier; das verrirth ihre Kleidung.
Ein schwarzes Sammtleibchen umschloß die Brust,
ein Schmeizerhemdchen mit feinen Fallen schmiegte
sich an den Hals, die Arme, fein zulaufend am
Handgelenk, quollen aus den weiten weißen HenU-
ermeln hervor, die über den Ellenbogen eine Spitzen-
manschette bildend, zusammengeschnürt waren. Statt
der zehn Nöcke über einander, wie im nördlichen
Tirol, trug sie das kurze italienische Röckchen, aber
mit vielen Reihen grünen Bandes verziert, eine
schwarzseidene Schürze mit schmälerem, dunkelrothem
Bandbesab vollendete, den Anzug.

So gekleidet findet der Städter, wenn er zur
Sommerfrische auf die Berge zieht, die fchönen
Mädchen in manchem der kleinen verborgenen Thäler
von Südtirol, auf der halben Höhe der Berge, be¬
sonders in dem paradiesischen Thale von Ienesien,
das wegen der Schönheit seiner Töchter berühmt ist.
Auch sie war schön; aber das schwarze Auge mit
den langen Wimpein, das reine Oval der Gesichts¬
züge, das feine, schön gezeichnete Profil und diese
zarten Körperformen hätten verleiten mögen, sie für
eine Italienerin zu halten, wenn nicht die frische
Hautfarbe und die gesunde, naive Kräftigkeit in ihrem
ganzen Wesen, das Alpenkiud Tirols venalhen hätte.
Nur das Eine ließ sich bei ihrem Aiibllck heraus
fühlen: Alles an diesem Mädchen war voll Wärme,
Leben, Anmuth und Liebreiz. Ihre Gestalt war
nicht zu groß, um ihr die Anmuth zu entziehen,
aber auch nicht so klein, um der Würde zu entbehren.
Maria aus dem Rosengartner Thale, denn sie war
es, die bei dem Sandwirth freundliche Aufnahme
gefunden hatte, war noch ein frisches Gemüth, trotz
aller der schmerzlichen Lebeuserfahrungeu, die sie
fchon gemacht hatte.

Nun trat ein bärtiger Mann, von kräftiger
Gestalt, aus dem untern Eingänge des Hauses auf
den Freiplatz, wo der Knecht das Roß am Zügel
hielt. Die Kleidung des Mannes bestand in einem
schwarzen niedrigen Hut mit breitem Rande, ge¬
schmückt mit dem Gemsbart, der Auerhahufeder und
einem grünen Bande. Die breite Brust bedeckte ein
rothes Brusttuch, über welches handbreite grüne
Hosenträger bis zu den schwarzen gemsledernen Bein¬
kleidern herabliefen. Diese waren so kurz, daß das
Knie frei blieb, zum leichtern Bergsteigen. Weiße
Zwirnstrümpfe umschlossen die volle Wade, reichten
jedoch oben nicht bis ans Knie hinauf und unten
nicht bis an die schweren Alpenschuh, die er an den
bloßen Füßen trug. Ein breiter lederner Leibgurt
mit eingeflickten Buchstaben, darunter die Geldkatze,
umschloß die Gestalt oes etwa vierzig Jahre alten
Mannes. Darüber trug er den kurzen, hellgrünen
Tirolerrock ohne Knöpfe. Sein breites, volles Ge¬
sicht, mit ziemlich kleinen, schwarzen Augen, die
einige Verschlagenheit und viel Heiterkeit verriethen,
trug das Gepräge eines frommen, gutmüthigen
Charakters, voll Treue, Redlichkeit und biederer
Menschenliebe. Auf der Brust, an breiten Quer-
streifen des grünen Hosenträgers, hatte er ein flaches
zinnernes Bild seines Schutzpatrons, des heiligen
Georg, befestigt. Sein dunkler, langer Bart be¬
deckte die breite Brust mit dem Georgenbilde und
gab ihm ein würdevolles, patriarchalisches Ansehen,
besonders jetzt, wo er von seinem WeM und seinen
Kindern Abschied nahm, um eine gefahrvolle, geheime
Reise nach Wien anzutreten.

Das war Andreas Hofer, der bekannte Sand-
mirth aus dem Passeyerthale. Seine Frau Anna,
eine geborene Ladurner, war hochgewachsen und hatte

eine würdevolle Haltung. Ihre klugen, etwas strengen
Gesichtszüge waren edel gebildet und ohne lebhafte
Farbe. Auf ihren Armen trug sie das jüngste Kind,
das kleine Rösel, das dem Vater die Aermchen ent¬
gegen streckte. Von drei Töchtern, Mendel, Anneri,
Trudel, war nur die älteste erwachsen, die beiden
andern etwa acht und zehn Jahre alt. Johann,
Hofeis einziger Sohn, stand an den Eckpfeiler des
Vorbaues gelehnt. Er war ein fchlank aufgeschossener
Bub, damals vierzehn Jahre alt.

Abschied schien schon im Hause genommen zu
sein, denn Hofer trat rasch an das Roß, wendete
sich aber noch einmal um zu den Eeinigen, die
ihm folgten

Mithin, trag 'n Gulden an Pfarrer unt>
bestell', daß er möcht bitten für mi — Dem heiligen
Anderl am Iudensteine opfre eine große Wachskerze
und bet' mit den Kindern Morgens und Abends ein
Ave Maria und drei Paternoster für d' gute Sach.

Voda! 's foll geschehen!" riefen Alle.
»Amen!" sprach er feierlich, „so Hab' ich mei
Haus destellt und die unsterbliche Seele bedacht.
Behüt Euch Gott," schloß er mit weicher Stimme
und sein Auge wurde thränenfeucht.

Es war Zeit, daß er abritt, der starke Mann,
sonst würde er noch ganz weich geworden sein.

Es war am Abend des Tages, an welchem
Hofer abgereist war. Den Tag über hatte der
warme Südwind von Meran her die ganze Länge
des Thales durchzogen und davon war noch eine
ungewöhnliche Wärme zurück geblieben. Die Familie
Hofers befand sich auf der untern Gallerie. Nur
Maria, die Fremde, war nicht anwesend. Sie hatte
sich allein nach Sanct Leonhard auf den Weg ge¬
macht, um dort die Abendandacht zu hören.

Nun war es um die Zeit, daß von fern herab
die Vesperglocke des Klosters von Sanct Leonhard
ertönte. Die Sandwirthin sank auf die Knie und
betete. Auch Johannes, Hofers Sohn, und die drei
Töchter, Maria, Anna und Gertrud, knieten nieder.
Die jüngste, das kleine Röschen, hatte die Mutter-
vor sich auf den Boden gesetzt und das Kind faltete
die Händchen, wie es solches von den Größer» sah.
Aus dem Hause kamen die Mägde und der Knecht
und knieten nieder vor der Thür, nahe am Ufer
des brausenden Passerbachs. Die Natur schien diese
Scene der Andacht mit zu feiern. Den Betenden
gegenüber ragten die himmelhohen Ferner empor,
hinter welchen die Sonnenfcheibe zu versinken be¬
gann. Das Gebirge lag schon im Duft der Abend-
fchatten, das Kirchlein und die hohe Iaufenburg
dämmerten mit verschwimmenden Umrissen.

Niemand hatte in der Feier der Andacht be¬
merkt, daß zwei Reifende, auf kleinen Saumrossen,
reitend, angekommen waren, von einem Führer be¬
gleitet. Diese stiegen jetzt die Freitreppe herauf.

Die Wirthin und ihre Kinder erhoben sich.
„Gelobt sei Jesus Christus!" sprach der Größere
der beiden Fremden. „In Ewigkeit, Amen!" ent¬
gegnete die Frau, neigte das Haupt und hieß die
Ankömmlinge willkommen. Dann kamen auch die
Kinder und gaben die Händchen zum Willkommen.

«Frau/ fragte der eine der Fremden, „ist der
Sandwirth daheim?"

„Er ist auf den Hand'l g'gangen ins Landl
hinein, um Rosse zu taufchen!"

„Schon fort?" fragte der andere Herr, das
ist fatal, ich hatte ihn gern gesprochen."

«Gnaden werden ihn schon in Wien treffen,"
sprach der Elftere.

„Wann ist Hofer abgereist?"

„Heute Morgen; aber beim rosenrothen Blute
unsers Herrn und Heilands bitte ich Euch...!"

„Habt keine Sorgen," lächelte der Herr, ,wir
haben vielleicht mehr Ursache, geheim zu reisen, als
Euer Wirtt> gute Frau. Wir können doch hier
übernachten'?"

„Boarn sind im Thal noch nit g'wesen und
Meran, wo sie liegen, ist weit von hier."

„Aber Sanct Leonhard, das Amt dort?"
fragte der Kleinere, „ist es ein bayerischer Beamter?"

„Gott behüt' uns dafür in Gnaden!" rief die
Willhin, „unser alter Herr Gerichtsamtmann ist so
gut österreichisch wie wir Alle."

„Nun dann sind wir unter Freunden. Lieber
Buol, lassen Sie sich mein Zimmer anweisen, ich