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Tiroler Fremdenblatt - Organ zur Hebung des Fremdenverkehrs in Tirol... (1889)
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Organ znr Hebung de^ Fremdenverkehrs in Tirol nnd Vorarlberg ^

und dem bayerischen Hochland.

Zeitschrift für Fand- und Wölkerkunöe, Atteratur, Kunst, Aanöel' und Gewerbe.

herausgegeben und redigirt von D. K. Malten.

Vas Tiroler Fremdenblatt erscheint während der Zaison. Dasselbe liegt in allen Hotels und renommirten Restaurants Deutschland« und Vesterreich-Ungarns auf und wird an
een größeren Vabnftationen colportirt. Das Abonnement beträgt pro Iakr für Vefterreich-Ungarn Z fi., für Deutschland 8 Mk. Inserate werden die vierspaltige Zeile mit ^5 kr. s25 Pf.^ berechnet.

1.

München, 3. Januar 1889.

V. Jahrgang.

Zur Uachncht!

Wir bringen zur Kenntniß, daß während
der Monate Januar, Ievruar und März das
ßiroler Iremdenblatt je am 1., 10. und 20., vom
I. April an wieder alle Woche erscheinen wird. Die
bedeutenden Kosten, welche das Blatt verursachen,
machen dieses Vorgehen nothwendig. Gleichzeitig
sehen wir uns veranlaßt, eine Kedu^rung de? Frei-
Eremvlare eintreten zu lassen.

Die Redaction.

Wenn in früheren Zeiten das Jahr zu Ende
ging und ein neuer Zeitabschnitt begann, sah die
Menschheit mit heiteren Blick in die Zukunft und
begrüßte das neue Jahr mit fröhlichem Prosit! Man
schüttelte mit dem Schwinden des alten Jahres auch
die alten Sorgen ab, tröstete sich mit dem Gedanken:
schlechter kann es nicht mehr werden, und hoffte daher
auf eine bessere Zukunft.

Seitdem Europa in die Aera des bewaffneten
Friedens getreten ist, hat sich die Stimmung beim
Jahreswechsel bedeutend geändert und das Prosit,
welches man dem neuen Gaste entgegenbringt, wird
immer verzagter und leiser. Kein Mensch kann dem
neuen Jahre mehr mit Hoffnung und Vertrauen
entgegenblicken, im Gegentheil, die Furcht vor dem
Kommenden, hält derart alle Herzen gefangen, daß
der einzige Wunsch, denn man für das neue Jahr
noch hat, darin gipfelt, es möge nicht schlechter werden,
als das alte Jahr gewesen.

Und ein solcher Wunsch ist angesichts der ge¬
radezu trostlosen Verhältnisse nur zu sehr berechtigt.
Die ganze europäische Gesellschaft wird das bange
Gefühl nicht los, sie schlafe auf einer ungeheuren
Pulvertonne, die ein unvorsichtiger oder böswilliger
Funken in Nord, Süd, Ost oder West zur Explosion
und damit namenloses Elend über Millionen bringen
könne.

Der Zustand, in welchen der bewaffnete Frieden
die Völler Europas versetzt hat, wird von Tag zu
Tag unertrüglicher. Die Regierungen triefen von
Friedenszuversicht und spannen dabei die Steuer-
trafte der Völker in einem Maße an, daß ein großer
Prozentsatz derselben dem Drucke fast erliegt. Den
LöwenanchM d«K Schweißes der Völker aber nehmen
die KrieK»«i«fter in Anspruch, denn immer neue

Regimenter müssen errichtet, immer neue Kanonen
gegossen, immer neue Gemehre angeschafft und immer
neue Kriegsschiffe gebaut werden, nur ^ damit der
Frieden am Leben bleibt!

Wenn die Staatsdoktoren diesen schwindsüchtigen
Frieden auch fernerhin noch, in derselben Steigerung
ihrer kostbaren Mittel wie bisher, am Leben er¬
halten, bleibt Europa wahrscheinlich auch die nächsten
Jahre noch vor dem Kriege bewahrt, wird dagegen
von ein^nl oolkswirthjchastnchcn xrach und Bankerott
heimgesucht werden; ^ was dann?!

Die Noth pocht heute lauter denn ie, an tausend
und abertausend Thüren, Die Poesie des Daseins
verkümmert mehr und mehr unter der Prosa des
Ringens nach dem täglichen Nrod. Taufende schwelgen
im Ueberfluß, ungezählte Millionen verkommen in
Jammer und Elend. In den großen Städten häuft
sich ein hungerndes Proletariat an, das begierig die
Lehren der Umstürzler einsaugt und mit Wuth und
Haß im Herzen die Stunde erwartet, in welcher es
über die Besitzenden herfallen kann-

Es ist geradezu lächerlich, wenn irgend ein an
der Gedankenschmindsucht leidender Scribifax heute
noch von der Hoffnung auf bessere zukünftige Tage
faselt und diese Phrase mit einem Schwulst zu-
fammengestohlener Gemeinplätze dem denkfaulen Lese¬
publikum als baare Münze aufhängen will. Wie
und was foll denn besser werden? Die Menschheit!
Du lieber Himmel, die schleppt ihren alten Jammer
weiter, ob das Jahr sich wendet oder nicht. Die
politische Lage! Möglich, daß wenn die Pulvertonne
in die Luft geflogen ist, es besser wird — es handelt
sich nur darum, diese Besserung zu erleben.

Man braucht kein Pessimist zu sein, um zu be¬
haupten, daß das soziale Elend, in welchem die
unteren Volksschichten stecken und das mehr und
mehr den Mittelstand anfrißt, zu einer Katastrophe
führen muß.

Um einen Begriff zu erhalten wie Nachfrage
und Angebot von Arbeit und Stellung sich gegen¬
überstehen, mustere man nur die Anzeigespalten
großer Tagesblätter. Noch deutlicher aber wird
dies, wenn man erfahrt, wie viel Offerten auf eine
jede noch so erbärmliche Stellung einlaufen. So er¬
hielt ein Münchener Kaufmann, der einen Ausgeher
fuchte, binnen 48 Stunden 176 Anerbieten und ein
Advokat, der einen Schreiberposten mit 50 Mark
Monatgehalt annoncirte, innerhalb 3 Tagen nicht
weniger als 322 Offerten!

Noch trauriger ist es mit der Verwendung und
Zahlung der weiblichen Arbeitskräfte bestellt. Man
schwärmt heute für die Unterdrückung des Sklaven¬

handels in Afrika, für die weißen europäischen
Sklaven aber hat man weder Augen noch Ohren.
Oder ist es keine jammervolle Sklaverei, wenn, wie
es in München der Fall ist, Ladnerinnen, Buch¬
halterinnen u. s. w,, die von früh bis spät im
Geschäft fein müssen mit 20, 25 und wenn es
hoch kommt 30 Mark pro Monat bezahlt werden!
Mit diesen 20—30 Mark sollen und müssen sie
Wohnung, Nahrung und Kleidung bestreiten, nntg,
Kens: stets anständige Kleidung. Ist es ein
Wunder, daß ein großer Theil dieser Bedauerns-
werthen sich nach „Nebenverdienst" umschauen und ist
es unfaßbar, wieso die Hydra der Prostitution für
jeden Kopf, den ihm die Polizei abschlägt, drei
neue ansetzt. Nicht die in Amt und Würden
stehenden Ladnerinnen u. f. m. liefern jedoch diesen
Zuwachs, sondern die ungezählten armen Kreaturen,
welche durch irgend einen Zu- oder Unfall zu keiner
Stelle gelangen können, oder aus einer solchen her¬
ausgeworfen weiden. Wenn Hunger, Noth und
Elend gemeinschaftlich auf ein schwaches Menschen¬
kind einstürmen, ist es schwer den Heroismus der
Tugend zu zeigen.

Wir könnten, wollten wir uns in unfern Stoff
vertiefen noch zahlreiche Beispiele europäischen
Sklavenelends und europäischen Jammers anführen
es genügt jedoch diefe Hinweifung auf einzelne Fälle
um die allemeine Misere gewisser Bevölkerungs¬
schichten zu illustriren. Nicht wie die oberen Zehn¬
tausend, sondern wie die unteren Millionen die Zuknnft
ins Auge fassen, kommt beim Jahreswechsel in Frage
und diese Millionen erhoffen sich solange keine
Besserung ihres Schicksals, als sie sich als den
Ambos fühlen und betrachten müssen, auf dem wenig
Tausende mehr oder minder rücksichtslos ihr Glück
schmieden. L. lt. »«.

Dochgebilgsbilder ans dem Mmserthal.

Von G. R.

Neu markt ist die erste größere Ortschaft,
wenn man im Etschthale von Bozen auf der Post-
ftraße nach Trient abwärts fahrt. Die Eisenstraße führt
in der Entfernung von einer kleinen halben Stunde
am Orte vorüber, ohne denselben zu berühren. Die
Italiener nennen den Markt Egna. Zur Römerzeit
stand hier eine Mansion, die während der Völker¬
wanderung das Schicksal hatte, von Grund aus zer¬
stört zu werden. Heute erscheint Neumarkt auf weiter,
meinbedeckter Thalebene von südlichen Contouren und
Tinten als ein düfter ausschauender Ort, durch mel'
chen eine lange Gasse mit niedrigen, gewölbten, fast