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Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Bd. 21 (1895)
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Mittheilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins.

Nr. 10.

seinem Eintritt in die Etsch durch eine romantische Schlucht
in prächtigem Falle herabstürzt, entlang nach Schlanders. Für
den Touristen, der vom Oetz- nach dem Suldenthale marschiert

bekanntlich eine der meist gewählten Reiserouten zur
Nordost - Südwestdurchquerung Tirols — bietet der Uebergang
über das Mastounjoch von Unserer Frau (welch' letzterer Ort
von Kurzras auf sehr bequemem Wege in einem Nachmittags¬
spaziergange von 2 St. zu erreichen ist) manche Vortheile vor
den beiden bisher gebräuchlichen, nur um 1 St. kürzeren Reise¬
routen. Diese beiden anderen sind: 1. Weisskugel (respective
Hochjoch) —KurzrasUnsere FrauKarthaus—NaturnsLaas
AngelusscharteSulden; 2. Weisskugel (respective Hochjoch)

Kurzras — Tascheljöchl — Schlandernaunthal — Schlanders —
LaasAngelusscharte Sulden. Der erste Weg (Dauer von
Kurzras bis Laas 12 St. in zwei Tagen) bietet von Unserer Frau
angefangen touristisch bis zu dem gemeinsamen Vereinigungs¬
punkte aller drei Touren, Laas, absolut nichts. Das Schnalser-
thal wird hinter Unserer Frau je weiter nach Süden desto mehr
von der Langweile des Vintschgaues angesteckt (?), und wer das
letztere, wie man es bei dieser Tour gezwungen ist, an einem
heissen Spätvormittag zu Fuss oder per Post zu passieren hat,
wird ausser durch den Anblick einiger hübsch gelegenen Burgen
und Dörfer in alpiner Hinsicht durch nichts für die Fülle von
Staub, die er schlucken muss, entschädigt. Das Vintschgau
bleibt eben immer nur ein unangenehmes Mittel zum angenehmen
Zweck; vielleicht ändert das die seit Jahren projectierte Eisen¬
bahn MeranLandeck. Der zweite Weg führt über das Taschel¬
jöchl (Dauer von Kurzras bis Laas 13 St. in einem Tage).
Ein noch so tüchtiger Durchschnittstourist dürfte nach der An¬
kunft von der Weisskugel in Kurzras, welche unter normalen
Verhältnissen zwischen 1112 U. mittags erfolgt, kaum im
Stande oder wenigstens kaum geneigt sein, denselben Tag noch
den 7 St. in Anspruch nehmenden Uebergang über das Taschel¬
jöchl zu machen. Er ist also gezwungen, den Rest des Tages
im Wirthshaus Kurzhof zu verbringen, statt in Unserer Frau,
wo man, wenigstens im „Adler", viel besser aufgehoben ist, er
muss, da er den nächstfolgenden Tag direct von Kurzras rechts
aufsteigt, auf eine Kenntnissnahme des Schnalserthales, das in
der Strecke KurzrasUnsere Frau noch viel des Interessanten
und hübsche Blicke auf den Similaun etc. bietet, verzichten,
er muss ferner den nächsten Tag den ganzen 13 stündigen Marsch
KurzrasTascheljöchLaas absolvieren, will er nicht gegen
die beiden anderen Touren einen Tag verlieren oder aber am
zweitnächsten Tage statt des viel schöneren Ueberganges über
die Angelusscharte die bis Prad recht langweilige Thalwan¬
derung Schlanders—Sulden machen. Ich fasse also zusammen:
Der Uebergang über das Mastounjoch — nur ein wenig länger
als die beiden anderen Verbindungsrouten — bietet im Ver¬
gleich zu der ersten Tour den Vortheil, zwei neue, interessante

Thäler (Mastoun, Schlandernaun) kennen zu lernen, den lang¬
weiligen Schluss eines bekannten (Schnalser) zu vermeiden und
erheblich weniger auf staubiger Landstrasse (NaturnsLaas)
marschieren zu müssen; vor der zweiten den Vortheil des
Marsches durch den interessanten Theil eines neuen Thaies
(Schnalser) und durch ein neues Thal (Mastoun), ferner den
Vortheil einer besseren Zeiteintheilung (Tour in zwei statt
in einem Tage). Wilh. Junk, Berlin.

Ortler Gruppe.

Thurwieserspitze. Variante des Abstieges nach Trafoi.
27. August 1894. Der Aufstieg nahm von der Bäckmannhütte,
trotzdem die Schneeverhältnisse nicht günstige genannt werden
konnten, im Ganzen 5 St. 10 Min. in Anspruch. Der Abstieg über
den Unteren Ortlerferner, der zwei Tage vorher von einer Partie
gemacht worden war und uns als äusserst schlecht geschildert
wurde, da der Gletscher ungemein zerklüftet und die meisten
sonst passierbaren Brücken unbrauchbar wären, schien uns nicht
rathsam. Wir nahmen daher den Vorschlag meines Führers
Johann Pinggera II (unsere Partie bestand noch aus einem
Herrn mit Führer Christian Mazzagg aus Sulden) gerne an,
statt dieses Abstieges den über den Trafoierferner zu versuchen.
Wir passierten verhältnissmässig leicht längs der Trafoier Eis¬
wand an der Rippe vorbei, die die Nashornspitze trägt, und
versuchten dann über den Trafoierferner abzusteigen. Derselbe
erwies sich jedoch, wie der vermiedene Gletscher, ebenfalls
sehr zerklüftet und ohne haltbare Schneebrücken. Nach end¬
losem Hin- und Hertraversieren erreichten wir das Nordende
des Gletschers erst nach 4*/ 2 St. Trotzdem die Heiligen Drei
Brunnen zum Greifen nahe liegen, ist ein directer Abstieg vom
Trafoierferner zu denselben unausführbar. Fast eine Stunde ver-
bracht&n wir mit der Recognoscierung eines solchen, bis wir
uns überzeugt hatten, dass von allen Seiten fast senkrechte Ab¬
stürze von immerhin respectabler Höhe vor uns lagen. Es blieb
uns nichts übrig, als auf die letzte Zunge des Ortlerferners zu
steigen, um von da aus erst die Trafoierseite zu gewinnen.
Ankunft in der „Post" um 4 U., so dass der Abstieg 7 St. er¬
forderte. Es scheint mir trotzdem kein Zweifel obzuwalten, dass
dieser Abstieg, der unseren beiden Führern neu war, doch,
wenn beide Abstiegsgletscher wie damals gleich schlecht passier¬
bar sind, von praktischer Bedeutung ist, wenn man nämlich,
was wir verabsäumt haben, sobald als möglich den Trafoier¬
ferner verlässt und die denselben links begrenzenden Ab¬
hänge der drei Madatschspitzen zu gewinnen trachtet. Es wäre
wichtig, wenn im heurigen Jahre ein solcher verbesserter Ab¬
stieg geprüft werden würde. Den alten, über den Ortlerferner,
und unseren, direct auf dem Trafoierferner, verschworen sich
unsere Führer hoch und theuer, unter solchen Verhältnissen
nicht zu wiederholen. Wilh. Junk, Berlin.

Verschiedenes.

Weg- und Hüttenbauten.

Das Watzmannhaus wurde am 22. Mai wieder eröffnet; die
Bewirthschaftung desselben ist neuerdings dem bekannten Berg¬
führer Joh. Grill sen. (Kederbacher) übertragen worden.

Riemannhaus. Das Haus wird vom 15. Juni ab eröffnet
und ständig bewirthschaftet. Auch während der Pfingstfeiertage
wird das Haus bewirthschaftet sein.

Hütteneröffnungen. Die Höllenthalhütte der S. München
(Zugspitze) wird vom 1. Juni ab wieder bewirthschaftet. —
Das Turner Alpenkränzchen-Haus auf der Rothwand ist seit
Anfang Mai wieder bewirthschaftet.

Hinterbärenbadhaus. Das neue, in den Wintermonaten
gebaute Unterkunftshaus wurde zu Ostern von zahlreichen
Mitgliedern des Weg- und Hüttenbau-Ausschusses unter Führung
der S. Kufstein besichtigt und fand allgemeines Lob.

Brand eines Schutzhauses. Am 5. Mai ist das bequem ein¬
gerichtete grosse Schutzhaus „Clementinenhütte" in den ost-
schlesischen Beskiden (Karpathen) sammt allen Einrichtungen
ein Raub der Flammen geworden. Die Hütte, von dem Major
v. Klo bus erbaut und „Clementinenhütte" genannt, befand sich
auf der Magura (1094 m.), an die sich der Klimtschok als höchste
Erhebung dieses Gebietes schliesst. Vor zwei Jahren hat der

„Beskidenverein" dort noch zwei Touristenzimmer hergerichtet
und im Vereine mit dem Besitzer eine Sommerrestauration
etabliert, die viel besucht wurde. Bei dem Brande des aus Holz
hergestellten Baues konnte leider nichts gerettet werden.

Die „Capanna Gnifetti al Monte Rosa" (3647 m.) der
S. Varallo des Club Alpino Italiano, welche sich schon seit
einigen Jahren als für den gesteigerten Touristenbesuch unzu¬
länglich erwiesen hat, soll nun vergrössert werden. Der Zubau
wird ganz aus Holz hergestellt und kann in Anbetracht der
kurzen Arbeitszeit erst im Laufe des Jahres 1896 fertiggestellt
werden. Die Kosten sind auf 6500 bis 7000 Lire veranschlagt.

Rifugio San MarCO. Die Generalversammlung der S. Vene¬
dig des Club Alpino Italiano hat, wie die „Rivista mensile"
berichtet, beschlossen, nächst der Forcella Piccola (Cadore) in
etwa 2000 m. Seehöhe eine neue Schutzhütte zu erbauen, welche
den Namen: „Rifugio San Marco" tragen soll und dazu be¬
stimmt ist, die Besteigung und Traversierung sowohl des Antelao
als des Sorapiss zu erleichtern. Der neue Bau, welchen man
noch im Laufe dieses Jahres fertigzustellen hofft und dessen
Kosten auf ungefähr 8000 Lire berechnet werden, wird Betten
und Schlafstellen für 20 Personen enthalten und soll „mit jeder
möglichen Bequemlichkeit und allem Comfort ausgestattet werden,
wobei man ähnlichen Herstellungen auf österreichischem Gebiete
nachzueifern trachten wird".