Unferc Lefer fchreibcn
:
Massenmensch
und Bergsteigen
Leserzuschriften zu
H.
Klieis Leitartikel: „Gibt es
einen bergsteigenden Massenmenschen?"
Mit einem Fragezeichen endet die Überschrift des
Leitartikels der Mitteilungen, Heft
9/10, 1956,
von
Dr. Heinrich Klier. Zwei Seiten weiter, am Schluß
des Aufsatzes, ist das Fragezeichen immer noch da,
—
zwar nicht gedruckt, aber im Bewußtsein des
Lesers. Der fragt sich nämlich, gibt es nun den
bergsteigenden Massenmensch
en
oder gibt es ihn nicht.
Dann liest er vielleicht den ganzen Aufsatz noch
,
einmal, langsamer, aufmerksamer. Und sagt sich zum
Schluß: den beigsteigenden Massenmenschen gibt es
also nicht, weil es nämlich schon den vielgelästerten
Massenmenschen an sich nicht gibt und daher natür«
lich auch keine besondere (bergsteigende) Art dieser
Gattung. So deutet es der Autor an.
Um eine Antwort auf die Frage nach der Existenz
des Mafsenmenschen geben zu können, muß man sich
zuerst darüber geeinigt haben, wie denn so ein
Massenmensch beschaffen sein sollte. Hier sein Bild,
gezeichnet in Anlehnung an
Ortega
y
Gassets
Analyse
dieses Typs im „Aufstand der Massen".
Der Massenmensch scheut die Anstrengung, er ist
verwöhnt und nimmt wie ein undankbares Mutter-
söhnchen alle ihm gebotenen Erleichterungen ohne
Ehrfurcht vor dem dahinter steckenden schöpferischen
Geist als selbstverständlich hin, er glaubt, jedes Recht
und keine Pflicht zu haben, und vermißt andererseits
nichts, was über seine Einsicht geht. Er ist an keine
Klasse und Rasse gebunden und findet sich in allen
Berufen, wo er gerade dort anmaßend ist, wo er
nichts versteht.
Gibt es diesen Menschen? Zahllose Menschen kom»
men
in ihrem Charakter dem „reinen" Massenmenschen
recht nahe.
Soviel wird aber aus der Betrachtung seines Seelen-
bildes sofort klar: er stellt den vollkommenen Wider«
spruch des Bergsteigers dar. Dieser ist ja in seiner
reinen Ausbildung der kämpfende Mensch an sich,
der die Anstrengung und Überwindung um ihrer
selbst willen sucht, dabei aber angesichts der Übermacht
von Natur- und Schicksal gewalten nie das Bewußt-
fein der eigenen Unzulänglichkeit verliert und so
immer ein Ringender bleiben muß.
Eine andere Frage freilich ist es, ob der Massenmensch
sich nicht auch manchmal in die Berge verirrt. Er
tut es leider. Und er tut es haargenau gleichzeitig
mit der technischen Übelerschließung verschiedener
Gebirgsgegenden. Dort allein ist er zu finden. Und
vor allem im Winter. Sicher, auch Bergsteiger fahren
hie und da
gem
mit dem Lift und bügeln dann eine
Piste, aber schon am nächsten Wochenende schleppen
sie wieder ihre schweren Rucksäcke durch den tiefen
Schnee. Natürlich fühlen
fie
sich ganz in Ordnung,
wenn sie inmitten vieler anderer an der Lift-Tal<
station
warten, aber das sagt gar nichts gegen das
psvchologische Phänomen Massenmensch. Wahr-
scheinlich befinden sich in jener wartenden Menge so-
wohl typische Bergsteiger als auch typische Massen-
menschen. Aber die typischen Bergsteiger fühlen sich
2
bestimmt nicht mehr wohl, wenn sie unter demselben
blauen Himmel, unter dem sie auf einsamen Gipfeln
ins All geträumt haben, plötzlich die Eisbar eines
protzigen Verghotels finden, in der reife, zwifchen
Hysterie und Langweile schwankende Damen mit
viel Geld und Alkohol ihre Schilehrer ködern. Auch
wenn es nur drei, vier Damen sind, während die
Zahl der am Lift Wartenden in die Dutzende ging.
Die Bergsteiger fühlen fich bestimmt auch nicht wohl,
wenn etliche Halbstarke ewig die gleiche Piste herun-
terrasen und sich dabei aufführen, als wären sie die
einzigen Besitzer des ganzen Geländes. (Ich möchte
übrigens sehr in Zweifel ziehen, ob das zentrale
Erlebnis dieser Schifahrer auch nur eine entfernte
Ähnlichkeit mit dem Erlebnis eines Sohm oder
Paulcke hat.)
Je weniger ein Bergsteiger vom Massenmenschen
in sich trägt, um so mehr stören ihn solche Erscheinun¬
gen. Und immer mehr zieht er sich zurück von den
Wintersportplätzen, welche eine Domäne des Massen-
menschen sowie gewisser kommerzieller Typen sind.
Sorge bereitet nur der Durchschnittsmensch, weil er
als weniger verhärtete Form eine größere Ansteck-
barkeit mitbringt und dadurch zum Einschlepper
massenmenschlicher Erscheinungen in die Berg-
steigere! werden könnte.
Wir wollen keineswegs schwarz sehen. Der Durch-
schnittsmensch mit seiner natürlichen Anpassungs»
fähigkeit kann unter dem Einfluß des Gebirges genau
so zum Bergsteiger weiden wie andererseits unter
dem Einfluß der Großstadt zum mehr oder minder
typischen Massenmenschen. In der Brust der noch
Unentschiedenen liegt also die Entscheidung über die
Zukunft des Bergsteigens.
-
Unberührbar davon, gewissermaßen im platonischen
Ideenhimmel gut aufgehoben, liegt der reine Wider-
spruch zwischen Bergsteiger und Massenmensch. Es
wird vielleicht einmal keine Bergsteiger und auch
leine Massenmenschen mehr geben, niemand kann
das wissen, aber immer, wird es ihre Ideen geben
als unversöhnliche Gegensätze.
So lautet, also unser Ergebnis: Es gibt (leider) auch
in den Bergen schon den Mafsenmenschen, aber der
Bergsteigerist kein Massenmensch.
Dr. Heinz Zechmann, Villach
Nicht Masse
—
sondern Gemeinschaft!
Ich bin Mitglied der Sektion „Edelweiß" und habe
den Aufsatz in unseren letzten Mitteilungen „Gibt
es einen bergsteigenden Müssenmenschen?" mit Aus-
merlsamkeit gelesen. Da ich in die erwähnte philo-
sophische Literatur ebenfalls Einblick habe, möchte
ich die vorgetragenen Gedanken an dieser Stelle
noch ergänzen. Es ist richtig, daß die Philosophie in
den letzten Jahrzehnten das Problem und die Er¬
scheinung der „Masse" ernsthaft behandelt hat, aber
sie kennt auch den Gegenpol zu diesem Begriff, und
zwar nicht den Einzelgänger, sondern die Gemein«
sch
aft.
Ten Unterschied zwischen Masse und Gemein-
fchaft möchte ich mit eigenen Worten folgendermaßen
klarstellen: Wenn Menschen nicht gleichgültig und
gleichförmig nebeneinander leben, sondern wenn sie
sich in verantwortungsbewußter Kameradschaft mit¬
einander verbunden fühlen, wenn die Teilnehme:
einer Bergfahrt bedingungslos bereit sind, schwäche-
-
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